14. Einladung zu einem Spaziergange

[22] im Hornung 1742.


Freund, wag' es einst, verlaß dein Zimmer,

Das nie verlöschte Gluth erhitzt;

Sieh', wie der höhern Sonne Schimmer

Auf schneebedecktem Felde blitzt.

Ein Zärtling mag den May erwarten,

Noch wagt er sich kaum an das Thor:

Doch liebst du Gang und Lust und Garten,

So komm dem Lenze selbst zuvor.


Verziehst du, bis des Sommers Wärme

Den Schweiß aus matten Gliedern preßt,

Des Pöbels dringendes Geschwärme

Uns kaum den Weg zu treten läßt,[22]

Ein Reicher, den zwey Pferde führen,

Mit Staub uns armes Fußvolk deckt:

Kurz, bis den Trieb zu dem Spazieren

Gewohnheit mehr, als Lust, erweckt?


Komm, laß uns in den Garten eilen,

Den wir den Musen längst geweyht;

Die Hütte wird uns Lust ertheilen,

In der man der Natur gebeut.

Den Sommer giebt sie uns zu fühlen,

Den Frühling zeiget, was man sieht:

Hier wollen wir mit Witze spielen,

Und Caffee trinken, wo er blüht.


Quelle:
Abraham Gotthelf Kästner: Gesammelte poetische und prosaische schönwissenschaftliche Werke, Theil 1 und 2, Teil 2, Berlin 1841, S. 22-23.
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