An den Schöpfer an ihrem Geburtstage

[6] den 1ten des Weinmonats 1761.


Wo war ich, als dich Morgensterne lobten?

Da, wie aus Windeln du gewickelt hast das Meer!

Und als vor dir die Wellen tobten,

Zu ihnen sprachest: kommet, bis hieher!


Wo lag ich, als dein Arm der Erde Gränzen

Umher gezogen hat, und ihren Grund gelegt?

Als du die Morgenröthe glänzen

Mit Purpur hiessest, den sie um sich trägt?


In ungeformtem Klumpen noch gelegen

Bin ich, als auf dein Wort der Tag hervor geeilt

Der Thau gezeugt ward, und der Regen

Und Finsterniß von Lichte ward getheilt!
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Noch gleich dem kleinsten Staube, den die Sonne

Heißscheinend an sich zieht von dürrer Erde Schooß,

War ich doch schon der Engel Wonne,

Von dir erschaffen, war ich ihnen groß.


Mit Sternenkleidern herrlich angezogen

Hast du, Gott Schöpfer! sie dem Winde gleich gemacht;

Schönfarbigt wie der Regenbogen

Wie Sonnenglut, ist ihrer Leiber Pracht.


Zum Dienst erschaffen für die Menschenkinder

Sind sie; sie eilen, Gott! wenn du Befehle blickst,

Durch deinen Himmel viel geschwinder

Als deine Blitze, die du flammigt schickst!


Aus Aether sind zusammen sie geflossen:

Ich ward, wie Staub, der auf der Flur zusammen läuft,

Wann deine Wolken ihn begossen

Und Kloß an Kloß sich nun zusammen häuft.
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Ich ward; dein Sprechen: Laßt uns Menschen machen!

Das riß auch mich hervor, als du des Lebens Thür

Entriegeltest, und noch der Rachen

Das Grabes nicht eröfnet war vor dir!


Jahrtausende vergiengen, kurze Tage

Vor deinem Angesicht! dann kam mein Tag, und du

Gabst mir die Hülle, die ich trage

Um diesen Geist von dir geathmet, zu!


Von deinem Munde, der mit einem Hauche

Gebürge bläset tief herunter in das Meer,

Nahm ich dis Leben zum Gebrauche,

Zu deinem Ruhm; Herr! mein Gesang sey er!

Quelle:
Anna Louisa Karsch: Auserlesene Gedichte, Berlin 1764, S. 6-9.
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