An Palemon,

an ihrem Geburtstage

[216] Den 1ten des Christmonaths 1761.


O Freund! auf stürmischen Flügeln

Hochheulend über den Dohm1

Bringt der unfreundliche Nordwind

Mir meinen festlichen Tag.


Ich denk an stürmende Sorgen;

Vorüber brauseten sie.

So denkt der landende Schiffer

Im Hafen an den Orcan!


Mich fand der himmlischen einer

Am Tage meiner Geburt

Bedeckt mit Hüllen der Armuth.

Mitleidig sah er mich an,
[217]

Und sprach zum Vater der Menschen:

Herr über Leben und Glück!

Gieb diese niedrig gebohrne

In meinen leitenden Schutz;


Sie liegt im Schoosse des Kummers,

Tief decket schmähliger Staub

Die Ernstbefaltete Stirne

Von dir zum Denken gebaut!


Dein sey sie, sagte zum Engel

Der alles schaffende Gott.

Da ward mir eine der Musen

Und diese Leyer gebracht,


Auf der ich festliche Hymnen

Des Helden Friedrichs Lob,

Die Tugend, heilige Freundschaft

Und sanfte Liebe gespielt!
[218]

Du hörest meine Gesänge:

O Freund! ich singe noch heut

Dem, der von Menschen Gehorsam,

Und Hecatomben nicht, heischt.


Ich komm' und trage dem Winter

Zum Trotz, auf klopfender Brust

Den Strauß von grünenden Lorbeeren;

Zwo Mädchen wanden ihn mir!


Du aber rufe den Diener

Geschäftger sahe Horaz

Nicht den einschenkenden Knaben

Mit Becherreichender Hand.


Ruf ihn. Er bringe die Flasche

Voll von zehnjährigem Wein

Gereift im Lande, das Frieden

Fleht, von Brittanniens Thron.
[219]

Er kränzt den Becher mit Blumen

Geraubt der armen Natur.

Genannt wird Tyrsis und Sulzer,

Und wer dich kennet und liebt.

Fußnoten

1 Palemons Haus, in welchem dieses geschrieben ward, ist nah an der Dohmkirche zu Magdeburg belegen.


Quelle:
Anna Louisa Karsch: Auserlesene Gedichte, Berlin 1764, S. 216-220.
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