Das Lob des Essens

[84] An Quintus Icilius.


1764.


Das Lob des Rebensaftes ward

Von keinem Dichter je vergessen,

Doch keiner sang mit gleicher Art

Das Lob vom guten Essen.


O, wenn wir von dem Hunger stark

Getrieben sind zum vollen Tische,

Erregt alsdann des Rindes Mark,

Der Brustkern, und die Fische,


Das Feldhuhn, oder von dem Reh

Der wohlgebratne zarte Rücken,

Und selbst der Hummer aus der See,

Dem Gaumen kein Entzücken?
[84]

Wie? wäre nicht aus Calekut

Der Hahn, und eines Hammels Lende

So liederwerth, als Traubenblut,

Das ich vortrefflich fände?


Sprich, Quintus! wenn Du müd und matt

Ins Lager kamst von Kriegesthaten,

Wie reizte Dich das Schulterblatt

Des Ebers frisch gebraten!


Mit welcher Wollust des Geschmacks

Verzehrtest Du, statt der Melonen

Und Pfirsichen, den trocknen Lachs

Beträufelt von Citronen!


Und wenn Dir noch anjezt Cothen

Nichts darf verbieten, nichts befehlen,

Siehst Du mit Lust die Schüsseln stehn

Und lobst sie vor Pokälen.
[85]

Quelle:
Anna Louisa Karsch: Gedichte von Anna Louisa Karschin, geb. Dürbach. Berlin 1792, S. 84-86.
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