Lied einer alten reichen Wittwe,

die gern Dame werden will

[254] Warum sollt ich mich denn härmen,

Hab ich doch Reichthum noch,

Junges Muths zu schwärmen!

Reichthum, Reichthum soll mir geben

Einen Mann, der mich kann

Uebern Pöbel heben –


Dann bin ich Hochwohlgeboren!

Für mein Geld, alle Welt

Staunt und spitzt die Ohren.

Freude wird mich überladen,

Wenn die Magd schüchtern fragt;

»Was befehl'n Ihr' Gnaden?«
[254]

Wenn ich sie zum Dienstvergelten

Ihrer Müh tolles Vieh,

Dumme Gans darf schelten;

Wenn Sie mich wird bitten müssen

Oben drein, um Verzeihn,

Und den Rock mir küssen –


Hat sie mich nun angekleidet,

Stück vor Stück, daß mein Blick

Sich im Spiegel weidet:

Dann trägt ein Gespann von Rappen,

Im Gallop, hop, hop, hop!

Mich und auch mein Wappen!


Welche Wollust, welch Entzücken!

Wenn im Saal mein Gemahl

Links und rechts mit Blicken

Zu verstehn giebt, daß sein Name

Stolz gebeut: seyd gescheit

Kropzeug, weicht der Dame!
[255]

Quelle:
Anna Louisa Karsch: Gedichte von Anna Louisa Karschin, geb. Dürbach. Berlin 1792, S. 254-256.
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