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[115] Ich muß ein Weilchen wohl geschlafen haben,

Denn wie aus Träumen schein ich mir erwacht;

Bin ich leibhaftig, wirklich denn begraben?

Noch immer diese enge, schwarze Nacht?


Mein Atem ist wohl heftig, rasch gegangen,

Indes der Traum die Wirklichkeit mir barg;

Ich fühl den Tau an meinen Schläfen hangen,

Die Luft ist heiß und dumpf in diesem Sarg.


O traurig, übertrauriges Erwachen!

O Augenauftun ohne Morgenlicht,

Wo keine Wolken durch die Fenster lachen,

Sich keine Reb um klare Scheiben flicht!


Doch wohl mir, daß ich heiße Tränen finde,

Da ich auch gar hier so verlassen bin!

O Kindestränen, fließet, fließet linde,

O Heimatsquell, ström unaufhaltsam hin!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 115.
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