2

[17] Ermattet von des Tages roher Pein,

Die nur auf Wiedersehen von mir schied,

Saß ich und schrieb bei meiner Lampe Schein,

Und schrieb ein wildes, gotteslästernd Lied!

Doch draußen lag die klare Sommernacht,

Mild grüßt' mein armes Licht der Mondenstrahl,

Und aller Sterne vollste Silberpracht

Sah auf mich nieder hoch vom blauen Saal.

Am offnen Fenster blühten dunkle Nelken,

Vielleicht die letzte Nacht vor ihrem Welken.


Und wie ich schrieb an meinem Höllenpsalter,

Die süße Nacht im Zorne von mir weisend,

Da schwebt' zu mir herein ein grauer Falter,

Mit blinder Hast um meine Lampe kreisend.

Wohl wie ein Schicksal flackerte das Licht

Mit spitzer Flamme still und hell empor

Und lockt' mit schwer magnetischem Gewicht

Den leichten Vogel in sein Todestor!


Ich schaute lange mit beklommner Ruh

Mit wunderlich neugierigen Gedanken[17]

Des Falters unglücksel'gem Treiben zu.

Doch als, zu nahe an der Flamme, sanken

Beinah die Flügel, faßt' ihn meine Hand,

Zu retten ihn gar sonderbar gezwungen,

Und scheucht' ihn fort. Hinaus ins dunkle Land

Hat er mit leichtem Fittich sich geschwungen.


Ich aber hemmte meines Liedes Lauf

Und hob den Anfang bis auf weitres auf.


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 17-18.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Gedichte: Eine Auswahl
Gedichte in einem Band
Sämtliche Werke in sieben Bänden: Band 1: Gedichte
Sämtliche Werke in sieben Bänden: Band 1: Gedichte
Gottfried Keller's Traumbüchlein. Aufzeichnungen, Gedichte, Prosa