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Ich liege beschaulich

An klingender Quelle

Und senke vertraulich

Den Blick in die Welle;

Ich such in den Schäumen,

Weiß selbst nicht, wonach?

Verschollenes Träumen

Wird in mir wach!


Da kommt es gefahren

Mit lächelndem Munde

Vorüber im klaren

Kristallenen Grunde

Das alte, vertraute,

Das Weltangesicht!

Sein Aug auf mich schaute

Mit tiefblauem Licht.


Wohin ist's geschwommen

Im Wellengewimmel?

Woher ist's gekommen?[32]

Vom blauenden Himmel!

Denn als ich ins Weben

Der Luft hab gesehn,

Da sah ich noch eben

Es dort vergehn!


Ich seh es fast immer,

Wenn's windstill und heiter,

Und stets macht sein Schimmer

Die Brust mir dann weiter;

Doch wenn sein Begegnen

Die Seele bedarf,

Wird selbst es im Regnen

Mir deutlich und scharf!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 32-33.
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