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[77] Ich ging am grünen Berge hin,

wo sich der Weih im Äther wiegt

Und reisemüd der Sonnenstrahl

ausruhend auf der Quelle liegt,

Wo wilde Rosen einsam blühn,

die Föhre hoch den Gipfel kränzt

Und drüberhin noch eine Burg

von weißen Sommerwolken glänzt.


Ich dacht an dich, mein süßes Kind!

an unsrer Herzen stillen Schlag,

An unser heimlich Liebesband

und was daraus noch werden mag.

Ich dachte noch gar mancherlei,

was sehnend mir die Brust bewegt

Und was auch jetzt im Traum vielleicht

dein spiegelklar Gemüt erregt!


Und wie in solcher Weihezeit

mein Gott schon manchmal zu mir trat,

Erschien er jetzo in des Bergs

frisch jugendgrüner Eichensaat.

Der jungen Stämme schlanke Schar

umschwankte säuselnd seine Knie:

So groß und herrlich ging er her

vor meiner regen Phantasie!
[77]

Sein Haupthaar war wie Morgengold

und wallte gar so reich und schwer,

Und in den klaren Augen ruht'

ein ätherblaues Liebemeer;

Ein Regenbogen zog um ihn

als Gurt die edle Farbenlust;

Er trug 'nen weißen Blütenstrauß

von jungen Linden an der Brust.


Es traf mich seines Auges Strahl

wie warmer Sonnenschein im Mai,

Und als er meinen Namen sprach,

erhob mein Haupt ich stolz und frei:

Ich wuchs und blühte rasch empor,

daß ich mir selbst ein Wunder schien,

Und wandelte mit leichtem Schritt

an Gottes hoher Seite hin.


Und plaudernd nun erzählte ich

Gott all mein irdisch Tun und Sein:

Doch alles dies besteht ja nur

aus dir, du feines Kind, allein!

Aus vollem Herzen sprach ich drum

von dir; von dir die ganze Zeit.

Er aber spiegelt' lächelnd sich

in meiner frohen Seligkeit.


Dann trug ich ihm auch klagend vor,

wie ich so gar ein armes Blut,

Und bat darauf um Haus und Hof,

um Bett und Schrein, um Geld und Gut,

Um Garten, Feld und Rebenland,

um eine ganze Heimat traut,

Darin ich dich empfangen könnt

als reichgeschmückte werte Braut.
[78]

Es mußte doch einmal geschehn,

drum schilt mich nicht und werd nicht rot!

Hör an, wie mir der Herr für dich

gar eine schöne Mitgift bot!

Er sprach: »Zuwenig und zuviel

hast du verlangt, mein lieber Sohn,

Drum tu ich dir noch viel dazu

und nehm ein wenig auch davon!


Ich gebe euch nicht Haus und Hof,

doch meine ganze reiche Welt,

Darinnen ihr euch lieben könnt,

wie's euren Herzen wohlgefällt!

Zwei jungen Seelen ist zu eng

das größte Haus, sei's noch so weit:

Doch finden sie noch eben Raum

in meiner Schöpfung Herrlichkeit!


Der ganze Lenz soll euer sein,

so weit nur eine Blume blüht,

Doch nicht das allerkleinste Beet,

um das sich eine Hecke zieht!

Ich gebe euch kein Prunkgemach,

kein Silberzeug, kein Kerzenlicht,

Weil sich ob silbernem Bronnenschall

euch Stern an Stern zum Kranze flicht.


Und alles soll besonders blühn

und schöner für euch, wo ihr geht,

Dieweil euch in mein Paradies

ein eigen Pförtlein offensteht.

So führe deine junge Braut

getrost in deine Heimat ein;

Brautführer soll mein lieblichster

und allerschönster Frühling sein!
[79]

Die Armut sei die Ehrendam'

bei deines Herzens Königin,

Ihr hübscher, zarter Page sei

ein immergrüner Jugendsinn!

Zum Haushofmeister geb ich euch

ein leicht und fröhlich Gottvertraun,

Es ist ein klug erfahrner Mann,

dürft auf ihn wie auf Felsen baun!«


Ist unser Haus nicht gut bestellt

und auserlesen das Gesind?

So zaudre nun nicht länger mehr

und folge mir, du blödes Kind!

Ich glaub, auf deinen Wangen spielt

vom Morgenrot ein Widerschein:

Sobald die Sonn am Himmel steht,

will ich als Freier bei dir sein!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 77-80.
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