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[97] Wie sie sich da drehn im Tanze,

Puppen aus geschnitztem Holz!

Eitles Volk im Kerzenglanze,

Leben heuchelnd, steif und stolz!


Schlüsselbeine, Schulterblätter

Stoßen schamlos hart mich an;

Alte Tanten, grau vom Wetter,

Klatschen längs der tollen Bahn.


Die dem Tode längst verfallen,

Treibt der Wahnsinn hier im Kreis!

Und ich schleiche durch die Hallen,

Einsam schlägt mein Herz und leis.


Dein gedenkt es, zarte Blüte!

O mein rosiger Morgentraum!

Daß dich Gott mir treu behüte

Fern am grünen Wogensaum!


Fern am Wogensaum, im Grabe

Schläft, was Lust und Leben war! –

Dieses Bechers Feuergabe

Bring der Schläferin ich dar!


Wie ein Schild von frischen Rosen,

Wie ein Schwert von Sonnenstrahl

Schützt dein Bild mich Freundeslosen

Hier vor dieser öden Qual!


Jung geblieben ist mein Lieben,

Und noch heute rosenrot;

Auch mein Liebchen jung geblieben:

Dank dafür, du milder Tod!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 97-98.
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