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[66] Sitzt man mit geschloßnen Augen

Einsam in dem dunklen Zimmer,

Blitzt oft durch die zarten Lider

Plötzlich roter Kerzenschimmer;

Weiß ich doch, daß Sonnenstrahlen

Durch die Augendeckel dringen

Und in flimmernden Gebilden

Sich um unsre Seele schlingen.


Also saß ich in der Dämmrung,

Müd von Erdenlärm und Staube,

Eingelullt vom Abendrote,

Schlummernd in der grünen Laube:

Da begann von Licht und Blumen

Gar ein seltsam schimmernd Weben

Und ein Ranken um die Augen

Wie von goldnen Zauberreben.


Rote Rosen, weiße Rosen,

Primeln, Tulpen und Narzissen,

Dahlien von hundert Farben

Sah ich durcheinander sprießen!

Purpur, Gold, Azur und Silber

Flimmerten in Wechseltönen,

Lila, Rosa, heitres Meergrün

Mußten Glanz mit Glanz versöhnen!


O das war ein prächt'ger Reigen,

Wie die Farben all ihn tanzten,

Wie die Btütenstern' und -glocken

Ringelnd sich in Beete pflanzten! –

Aber in den Wundergarten[67]

Senkte eine Jakobsleiter

Von zwei Strahlen sanft sich nieder

Aus zwei Sternen, bläulich heiter!


Kleine blonde Liebesengel

Schwebten daran auf und nieder,

Stiegen in den Sternenhimmel,

Kehrten in mein Herze wieder;

Weckten andre hübsche Knaben,

Die darinnen träumend schliefen

Und darauf mit ihnen spielend,

Kosend durch die Blumen liefen.


Und die aus dem Himmel kamen,

Wollten meines Herzens Kinder

Ringend mit sich aufwärts ziehen;

Aber diese auch nicht minder

Hielten stand und kämpften wacker,

Als sie jene dicht umschlangen,

Hielten sie in meines Herzens

Tiefstem Grunde bald gefangen!


Oben an der Himmelsleiter

Eine klare Seele schwebte,

Die halb zornig, halb mit Lächeln

Sie zurückzulocken strebte;

Doch es schien mir im Gefängnis

Ihnen leidlich zu gefallen;

Denn ich sah, der Herrin trotzend,

Bunt sie durcheinanderwallen!


Und sie mußte sich bequemen,

Endlich selbst herabzusteigen,

Sah sich plötzlich dann gefangen[68]

Mitten in dem frohen Reigen.

Doch für all den Liebesjubel

Ward mein Herz zu eng und nieder:

Klingend sprangen auf die Pforten,

Sprangen auf die Augenlider!


Sieh! da standest du, auf meine

Schläferaugen schweigsam schauend,

Vorgebogen, unbefangen,

Auf den festen Schlaf vertrauend;

Wurdest rot und flohst vorüber,

Ungeschickt ein Liedlein summend

Und vergeblich dein Geheimnis

In der Dämmerung vermummend!


Fliehe nur, verratne Seele,

Trostlos durch des Gartens Blüten!

Such dir beßre Zauberdrachen,

Deines Busens Schatz zu hüten!

Töricht Kind! nun magst du immer

Dreifach mir dein Herz verschließen:

Unerbittlich seh ich innen

Für mich rote Rosen sprießen!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 66-69.
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