Der Freiheitsbaum

[137] Ein Tannenbaum im Schwarzwald steht,

Der wächst schon manches Jahr;

Sein Wipfel hoch ins Blaue geht,

Drin fliegt sein grünes Haar.


Die Wurzel hat den Erdengrund

Gar innig angefaßt,

Und darum bleibt der Baum gesund,

Wie auch der Nordwind rast!


Doch alles, was auf Erden ist,

Muß haben seine Zeit:

Der Tannenbaum zu seiner Frist

Zum Fällen ist bereit!
[137]

Dann schmückt man ihn, dann führt man ihn

Den hellen Rhein entlang,

Bis mitten in die Stadt Berlin,

Mit lautem Sang und Klang!


O Maienlust, o Freiheitsbaum,

So jugendlich und grün!

Wie wirst du, alter Menschentraum,

Dann ewig, ewig blühn!

Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 137-138.
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