Meergedanken

[148] O wär mein Herz das tiefe Meer

Und meine Feinde die Schiffe:

Wie schleudert' es sie hin und her

An meines Hasses Riffe!


Und endlich schläng es unter sie,

Hinunter in die Tiefe,

Daß drüber glänzend spät und früh

Der Meeresfrieden schliefe!


So aber ist's 'ne Welle kaum,

Von tausenden nur eine,

Doch nagt und wäscht ihr leichter Schaum

Am morschen Schiffsgebeine!


Wir Wellen brausen treu vereint,

Und eine folgt der andern!

Wir haben all den gleichen Feind,

Nach dem wir spähn und wandern.
[148]

Das Unglück ist der Wirbelwind,

Der peitscht uns, bis wir schäumen

Und bis wir wach geschlagen sind

Von unsern Wasserträumen.


Und endlich sinkt im Trümmerfall,

Was wir so lang getragen –

Heil uns, wenn wir mit sattem Schwall

Dann oben zusammenschlagen!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 148-149.
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