1. An mein Vaterland

[128] O mein Heimatland! O mein Vaterland!

Wie so innig, feurig lieb ich dich!

Schönste Ros', wenn jede mir verblich,

Duftest noch auf meinem öden Strand!


Als ich arm, doch froh, fremdes Land durchstrich,

Königsglanz mit deinen Bergen maß,

Thronenflitter bald ob dir vergaß:

Wie war da der Bettler stolz auf dich!


Als ich fern dir war, o Helvetia!

Faßte manchmal mich ein tiefes Leid;

Doch wie kehrte schnell es sich in Freud,

Wenn ich einen deiner Söhne sah!


O du Schweizerland, all mein Gut und Hab!

Wann dereinst mein banges Stündlein kommt

– Ob ich Schwacher dir auch nichts gefrommt –,

Nicht versage mir ein stilles Grab!


Werfe ich von mir einst mein Staubgewand,

Beten will ich dann zu Gott dem Herrn:

»Lasse strahlen deinen schönsten Stern

Nieder auf mein irdisch Vaterland!«


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 128.
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