2. Waldstätte

[128] Es sind vier Länder gelegen

Um einen urtiefen See,

Die mir das Herze bewegen

Mit noch viel tieferem Weh!


Sie sind der Stolz gewesen,

Die Zierde vom Schweizerland;

Nun kehrt man kaum mit Besen

Hinaus die blutige Schand!


Sie nähren sich noch zur Stunde

Vom alten Ruhme mit List,

Der doch auf der Wasser Grunde

Schon lange versunken ist!


Noch leuchtet in der Sonnen

Der Berge silberner Dom –

Die Täler hat übersponnen

Die alte Spinne von Rom!


Da liegen sie, wie vier Leichen,

Von Alpenrosen umblüht,

Und über die Todesbleichen

Hohnlachend der Böse zieht.


Wer hebt mir die Edelsteine,

Die vier, aus dem Schlamm und Sand?

Wer setzt sie mit neuem Scheine

In die Krone dem Vaterland?


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 128-129.
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