7. Bei Robert Steigers Befreiung und Ankunft in Zürich

[134] am 20. Juni 1845


Mit deinem Adelsbriefe wohl versehen,

Dem Todesurteil mit dem argen Riß,

Sehn wir dich jugendlich und stark erstehen

Aus deines Grabes kalter Finsternis.

Des Unglücks Feuertaufe auf dem Haupte,

Den letzten Kettenring noch an der Hand:

So schreitest du durch dieses jungbelaubte

Und doch so tief gebeugte Vaterland!


Und wo du gehst, da weckst du auf den Bergen

Die hellen Freudenfeuer ohne Zahl!

Doch hinter dir, da stehn die röm'schen Schergen,

Geblendet noch vom unverhofften Strahl:

Der Apostat, des Name nun zertreten

Im Staube an des Volkes Sohlen klebt,

Indes den deinen es mit lautem Beten

Und kindlich dankbar zu den Sternen hebt!


Es grüße dich das goldne Licht der Sonne,

Dich grüßt die Freiheit und das Vaterland!

Es grüßen dich mit heißem Schlag der Wonne

Viel tausend Herzen, freudig zugewandt!

Nimm hin in vollem Maß des Volkes Liebe[134]

Und seinen Dank, den es den Helden zollt:

Der Männer Lärm und jubelndes Getriebe,

Des Weibes Träne, die im stillen rollt!


Nimm hin die Lieder und die Festgesänge!

Es lauscht ein heil'ger, starker Zorn darin!

Die bittre Klage in dem Lustgedränge,

Den Dorn, den diese Rose birgt, nimm hin!

Denn was dem müden Volk das Herz durchzittert,

Legt's heimlich in die Grüße mit hinein;

Ob's nun in Freude oder Leid gewittert:

Es wird nicht minder ein Gewitter sein!

Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 134-135.
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