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[121] Ja, hätt ich ein verlaßnes Liebchen nun,

Das vor dem Morgenrot zu klagen käme,

Auf meinem frischen Pfühle auszuruhn,

Und meinen Ruf mit süßem Graun vernähme!
[121]

Warum hab ich der einen nicht gesagt,

Daß junge Liebe mir im Herzen sprosse?

Ich zauderte und hab es nicht gewagt –

Die Krankheit kam und diese tolle Posse!


Wenn einsam sie vielleicht und ungeliebt,

Nachdenklich manchmal ihre Augen senkt,

O wüßte sie dann, daß ein Herz es gibt,

Das, unterm Rasen schlagend, an sie denkt!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 121-122.
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