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[122] Wie herrlich wär's, zerschnittner Tannenbaum,

Du ragtest als ein schlanker Mast empor,

Bewimpelt, in den blauen Himmelsraum,

Vor einem sonnig heitern Hafentor!


Da, müssen wir einmal beisammen sein,

Lehnt' ich an dir im schwanken Segelhaus:

Du aus dem Schwarzwald, drüben ich vom Rhein,

Kamraden, reisten wir aufs Meer hinaus.


Und bräch das Schiff zu Splittern auseinand,

Geborsten du und über Bord gefällt,

Umfaßt' ich dich mit eisenfester Hand:

So schwämmen beide wir ans End der Welt.


Am besten wär's, du stündest hoch und frei

Im Tannenwald, das Haupt voll Vogelsang,

Ich aber schlenderte an dir vorbei,

Wohin ich wollt', den grünen Berg entlang!

Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 122.
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