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[120] Horch – endlich zittert es durch meine Bretter!

Was für ein zauberhaft metallner Klang,

Was ist das für ein unterirdisch Wetter,

Das mir erschütternd in die Ohren drang?


Jach unterbrach es meine bangen Klagen,

Ich lauschte zählend, still, fast hoffnungsvoll:

Eilf – zwölf – wahrhaftig, es hat zwölf geschlagen,

Das war die Turmuhr, die so dröhnend scholl!


Es ist die große Glock', das Kind der Lüfte,

Das klingt ins tiefste Fundament herab,

Bahnt sich den Weg durch Mauern und durch Grüfte

Und singt sein Lied in mein verlaßnes Grab.


Gewiß sind jetzt die Dächer warm beschienen

Vom sonnigen Lenz, vom lichten Ätherblau;

Nun kräuselt sich der Rauch aus den Kaminen,

Die Leute lockend von der grünen Au.


Was höhnst du mich, du Glockenlied, im Grabe,

Du Rufer in des Herrgotts Speisesaal,

Mahnst ungebeten, daß ich Hunger habe

Und nicht kann hin zum ärmlich stillen Mahl? –


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 120.
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