Wilhelm v. Humboldts Landhaus am Tegelsee

[210] Es glänzt ein heitres stilles Haus

Aus stillen grünen Kronen;

Auf seinen Warten ruhen aus

Die Winde aller Zonen.


Auf ihrem Hauch ein edler Klang

Hat sich hinausgeschwungen,

Von Meer zu Meer grüßt ihn Gesang,

Gesang in allen Zungen.


Im Hause sind Gemach und Saal

Gefüllt von Glanzgestalten,

Die in vergangner Tage Strahl

Die stumme Wache halten.


Die Marmorlippen scheinen sich

Just aufzutun wie Blüten,

Erhobne Hände feierlich

Ein heilig Gut zu hüten.


Laß hinter dir, was trüb und wild,

Der du dies Haus betreten,

Denn zu der Hoffnung reinem Bild

Darfst du gefaßt hier beten.


Trittst du hinaus, den Föhrensaum

Sieh ernst den See umgeben![210]

In seinen Wipfeln rauscht der Traum

Vom ferneblauen Leben.


Und auf dem Walde wandeln sacht

Die weißen Wolkenfrauen,

Die in der Flut kristallner Nacht

Ihr klares Bild beschauen.


In leisrem Blau die Sonne schweift,

Ihr eigner Schein ist blasser,

Von feuchter Reiherschwinge träuft

Er perlenbleich ins Wasser.


Fühlst nach der Heimat du das Weh,

O Fremdling, dich durchschauern,

Land an dem nord'schen Geistersee,

Hier ist es schön zu trauern!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 210-211.
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