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[273] »Solange eine Rose zu denken vermag,

ist noch nie ein Gärtner gestorben.«

Fontenelle


Dich zieret dein Glauben, mein rosiges Kind,

Und glänzt dir so schön im Gesichte!

Es preiset dein Hoffen, so selig und lind,[273]

Den Schöpfer im ewigen Lichte!

So loben die träumenden Blumen im Hag

Die Wahrheit, die ernst sie erworben:

Solange die Rose zu denken vermag,

Ist nimmer ein Gärtner gestorben!


Die Rose, die Rose, sie duftet so hold!

Sie dünkt so unendlich der Morgen!

Sie blüht dem ergrauenden Gärtner zum Sold,

Der schaut sie mit ahnenden Sorgen.

Der gestern des eigenen Lenzes noch pflag,

Sieht heut schon die Blüte verdorben –

Doch seit eine Rose zu denken vermag,

Ist niemals ein Gärtner gestorben!


Drum schimmert so stolz der vergängliche Tau

Der Nacht auf den bebenden Blättern!

Es zittert und lispelt die Lilienfrau,

Die Vögelein jubeln und schmettern;

Drum feiert der Garten den festlichen Tag

Mit Flöten und feinen Theorben:

Solange die Rose zu denken vermag,

Ist niemals ein Gärtner gestorben!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 273-274.
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