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[276] Liebliches Jahr, wie Harfen und Flöten,

Mit wehenden Lüften und Abendröten

Endest du deine Bahn!

Siehst mich am kühlen Waldsee stehen,

Wo an herbstlichen Uferhöhen

Zieht entlang ein stiller Schwan.


Still und einsam schwingt er die Flügel,

Taucht vergnügt in den feuchten Spiegel,

Hebt den Hals empor und lauscht,

Taucht zum andern Male nieder,

Richtet sich auf und lauschet wieder,

Wie's im klagenden Schilfe rauscht.


Und in seinem Tun und Lassen

Will's mich wie ein Traum erfassen,

Als ob's meine Seele wär,

Die verwundert über das Leben,

Über das Hin- und Widerschweben,

Lugt und lauschet hin und her.
[276]

Trink, o Seele, nur in vollen Zügen

Dieses heilig friedliche Genügen,

Einsam, einsam auf der stillen Flur!

Und hast du dich klar und tief empfunden,

Mögen ewig enden deine Stunden:

Ihr Mysterium feiert die Natur!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 276-277.
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