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[272] Fliehe nicht, du heitre Maid,

Wenn wir deine Straße ziehen,

Bursche, denen Lust und Leid

Hoch in bewegter Brust erglühen!


Sind gebräunt in Wetter und Wind

Und gereift an heißen Sonnen,

Über unsre Wangen sind

Helle Tränen schon geronnen.


Treten jetzo fest einher,

Fühlen unter uns die Erde!

Nicht von eitlem Hoffen schwer

Noch verzagend vor Gefährde.
[272]

Trinken froh das Morgenwehn,

Wenn wir durch die Lande schweifen;

Glauben nichts, als was wir sehn

Und mit unsern Sinnen greifen!


Halten nichts auf hohlen Dunst,

Mögen nichts auf Worte geben;

Doch verstehen wir die Kunst,

Frei und rasch und stark zu leben!


Scheiden leicht von jedem Traum,

Der sich nicht mit Wahrheit paarte;

Doch hegt unser Busen Raum

Für das Starke wie das Zarte!


Ruhen heut im sonnigen Tal,

Lauschend, wie die Knospen springen,

Stehen morgen im Wetterstrahl,

Wo die Stürme die Flügel schwingen!


Und es lobet unser Geist,

Was da lebt in Licht und Grauen!

Fürchte dich nicht! denn noch zumeist

Ehren wir euch, holde Frauen.


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 272-273.
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