1

[259] 1848


Wir standen an rauschender, schwellender Flut,

Wir sieben Gesellen mit siedendem Blut,

Vom Weine entzündet, voll Leben und Lust;

»Hol über!« ertönt' es aus jauchzender Brust.


Da kam eine Schifferin rüstig heran,

Sie faßte das Ruder und wandte den Kahn;

Wir sprangen mit Mutwill und Lachen hinein,

Fast war der gebrechliche Nachen zu klein.


So stieß sie vom Land in die Wogen hinaus,

Die Mitte des Stromes war weißlich und kraus;

Wir brachten mit Schaukeln das Schifflein in Not,

Doch ruhig und aufrecht regiert' sie das Boot.


Mit Schmeicheln und Scherzen belagerten wir

Die wehrlose Maid, und es hingen an ihr

Die glühenden Blicke, doch ihnen vorbei

Schaut' sie auf die Wasser so kühl und so frei!


Zuletzt in den Lüften entbrannte die Lust,

Zu stehlen der Jungfrau das Tuch von der Brust,

Und Worte und Augen und Wellen und Wind,

Sie gaben zu schaffen dem kämpfenden Kind.


Und siegreich erreicht' sie den anderen Strand

Und setzt' uns mit klopfendem Herzen ans Land;

Dann wandte sie leicht in den Strudel zurück

Und sah auf die Wasser mit heiterem Blick.


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 259.
Lizenz:
Kategorien: