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[259] 1849


Es ringen die Ströme gewaltig zu Tal,

Die Deutschen nach Einheit mit Feder und Stahl;

Der Neckar erreichet den fliehenden Rhein,

Doch ewig muß Deutschlands Zerrissenheit sein.


Die feindlichen Stämme, sie kämpften im Tal;

Die Preußen, die Hessen, die Bayern zumal

Verfochten mit blutiger Mühe den Thron:

Die Badischen sind gegen Süden geflohn.


Am Strand blieb ein Häuflein Rebellen zurück,

Die finden zum Fliehn weder Furten noch Brück';

Vom Rotweine trinken die Neige sie noch

Und bringen voll Wut ihrem Hecker ein Hoch.


Da kracht es vom Walde, da blinkt es vom Berg,

Es flüchtet der Fischer, es birgt sich der Ferg;

Ja blickt nur, ihr roten Gesellen, euch an!

Wohl ist es um euere Köpfe getan!


Schon blitzt durch die Gärten von Helmen ein Meer,

Es fliegt der Husar auf der Straße daher;

Die Schifferin sieht es vom anderen Bord,

Sie springt in den Nachen – schon ist sie am Ort.


Sie springen mit bleichen Gesichtern hinein,

Fast ist der gebrechliche Nachen zu klein.

Mit Männern und Waffen zum Sinken beschwert,

Hat schon sie das Schiff in die Fluten gekehrt.
[260]

Das ist eine düstre Gesellschaft im Boot,

Wie Blut weht am Hute die Feder so rot,

Zerrissen die Bluse, geschwärzt das Gesicht;

In den Augen glimmet ein Totenlicht.


Ein dürftiges Fähnlein im Winde sich rollt,

Aus schlechtem Kattun, das ist schwarz, rot und gold;

So tanzt auf den Wellen der schwankende Kahn,

Die Schifferin sucht ihm die rettende Bahn.


Und wie sie die Mitte des Neckars erreicht,

Schon Kugel auf Kugel das Wasser bestreicht;

Sie schlagen ins Ruder, sie schlagen ins Schiff,

Es schweift um die Ohren der grauliche Pfiff.


Da recken die Bursche sich fluchend empor,

Und schnell fährt der schlummernde Blitz aus dem Rohr,

Sie stemmen den Fuß auf den schwebenden Rand

Und laden und senden die Kugeln ans Land.


Es schwellt sich im Nachen die purpurne Flut,

Die Schifferin steht in dem schaukelnden Blut.

Scharf streicht ihr der Tod an den Brüsten vorbei,

Sie schauet zum Ziele hin sicher und frei.


Schon führt sie zerschossene Leichen an Bord,

Und wutbleich kämpfen die anderen fort;

Das Fähnlein verschwindet und steht wieder auf:

Sie führet getreulich dem Schifflein den Lauf.


Und endlich gewinnt sie die schützende Bucht,

In Hohlwegen bergen die Kämpfer die Flucht;

Wo nächtliche Diebe und Wilderer gehn,

Verliert sich des Deutschpaniers klagendes Wehn.
[261]

Die Maid aber leget das Ruder zur Ruh

Und drückt ihren Toten die Augen zu.

Sie ziehet den schwimmenden Sarg auf den Sand

Und setzet sich stumm auf den blutigen Rand.


Da hat doch ihr Herz ein Erbeben gefaßt,

Da erst sind die rosigen Wangen erblaßt.

Das ruhige, kühle, das klare Gemüt

Hat einmal in zitternden Flammen geglüht!

Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 259-262.
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