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[223] Sie kamen von der Tränke,

Sie wankten aus der Schenke

Mit einer Zecherschar,

Als es Karfreitag morgen

Und grabesstille war.


Von heißen Stirnen nicken

Und stäuben die Perücken,

Wie Wolke birgt den Blitz;

Die spitze Kling am Degen

Zuckt wie geschliffner Witz.


Sie taumelten und sangen,

Vom Mund wie Stöpsel sprangen

Die Verse, Schlag auf Schlag;

Da schrie Panard: »O fühlet

Den furchtbar großen Tag!


Das Universum trauert,

Die dunkle Sonne schauert,

Die Erde wankt und bebt,

Daß unter unsern Füßen

Der lose Boden schwebt!
[223]

Unsicher ist's zu stehen

Und ratsam nicht, zu gehen:

Kehrt um! zu unsrem Wirt!« –

Und alsbald kroch die Herde

Zurück zu ihrem Hirt.


Dort blieben sie verborgen

Bis an den dritten Morgen,

Tief und geheimnisvoll,

Bis durch die goldne Frühe

Die Osterglocke scholl.


Als die verjüngte Sonne

In Auferstehungswonne

Durchschritt des Frühlings Tor,

Da stiegen aus der Höhle

Weinselig sie hervor.

Fußnoten

1 Französische Poeten des 18. Jahrhunderts


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 223-224.
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