Dreizehntes Kapitel

Wiederum Faßtnacht

[518] Das größte Theater der Residenz war in einen Saal umgewandelt und hatte, voll erleuchtet, bereits die beiden Körper des Festheeres, die Darstellenden und die Zuschauer, in sich aufgenommen. Während auf den Galerien und in den Logen reihen die schauende Welt versammelt harrte und einstweilen sich selbst in ihrem Schmucke betrachtete, summten die Seitensäle und Gänge, dicht angefüllt von den sich ordnenden Künstlerscharen. Hier wogte es hundertfarbig und schimmernd durcheinander. Jeder war für sich eine inhaltvolle Erscheinung und Person, und indem er selber etwas Rechtem gleichsah, schaute er freudig den Nächsten, welcher in der schönen Tracht nun ebenfalls so vorteilhaft und kräftig erschien, wie man gar nicht hinter ihm gesucht hätte, trotzdem der Kern der Festgebenden nicht aus leeren Figuranten und Lebemenschen, sondern aus schwungvollen, vom Genius gehobenen Jünglingen und längst in gediegener Arbeit ausgereiften Männern bestand, welche einen rechtsgültigen Anspruch besaßen, die bewährten Vorfahren darzustellen. Außer den Malern und Bildhauern gingen im Zuge Baumeister, Erzgießer, Glas- und Porzellanmaler, Holzschneider, Kupferstecher, Steinzeichner, Medailleure und viele andere Angehörige eines voll ausgegliederten Kunstlebens. In den Gießhäusern standen zwölf Ahnenbilder für den Königspalast, soeben vollendet, jedes zwölf Fuß hoch und im Feuer vergoldet. Zahlreiche Statuen von Landes- und Geistesfürsten eigener und fremder Nationalität, zu Roß und Fuß, samt den Bildwerken ihrer Fußgestelle waren schon vollendet und in der Welt zerstreut, riesenhafte Unternehmungen begonnen, und es ging in den Feuerhäusern wohl schon so gewaltsam und kraftvoll her wie an jenem Gußofen zu Florenz, als Benvenuto seinen Perseus goß. In Fresko und Wachs waren[518] schon unabsehbare Wände bemalt; haushohe gemalte Fenster wurden gebrannt und zusammengesetzt in einem Farbenfeuer, das der Auferstehung einer untergegangenen Kunst angemessen war, um sie würdig zu feiern. Was die Gemäldesammlungen an seltenen und unersetzbaren Schätzen auf vergänglicher Leinwand bewahrten, wurde zur Erhaltung in dauernder Wiedergabe von geübten Arbeitern mit anspruchlosem Fleiße auf Porzellantafeln und edle Gefäße übergetragen mit einer Kunst, die erst seit wenig Jahren in solchem Grade bestand. Was nun der ganzen Trägerschaft dieser Kunstwelt, den großen und kleineren Meistern, den Gesellen und Schülern einen erhöhten Wert verlieh, das war der reinere Abglanz der ersten Jugendreife einer solchen Epoche, deren ideale Freudigkeit im selben Zeitalter selten wiederkehrt, eher schon von den leichten Schatten der Verbildung und Ausartung da und dort umschwebt wird. Alle, auch die Bejahrteren, waren noch jung, weil die ganze Zeit jung und die Spuren eines bloßen Könnens ohne Gefühl noch wenig zahlreich waren.

Jetzt öffneten sich die Türen, und die Trompeter und Pauker, welche klangvoll erschienen, verbargen mit ihren Reihen den hinter ihnen anschwellenden Zug, so daß man erwartungsvoll harrte, bis sie vorgeschritten der reichen Entfaltung Raum gaben. Ihnen folgten zwei Zugfahrer mit dem Nürnberger Wappen, dem Jungfernadler auf den weiß und roten Röcken, und hinter diesen schritt schlank und zierlich einher, einen mächtigen Laubkranz auf dem Haupte, den goldenen Stab in der Hand, der Führer der stattlichen Zunft der Meistersänger. Alle bekränzt, ging die gute Schar derselben daher mit ihrer Spruchtafel, voran die wanderlustige Jugend in kurzer Tracht, welcher die Alten folgten, den ehrwürdigen Hans Sachs umgebend, der sich im dunkelfarbigen Pelzmantel wie ein wohlgelungenes Leben mit dem Sonnenschein ewiger Jugend um das weiße Haupt darstellte.

Aber das bürgerliche Lied war dazumal so reich und überquellend, daß es jede Meisterschaft begleitete und hauptsächlich[519] auch unter dem Banner der nun folgenden Baderzunft hinter Schermesser und Bartbecken herging. Da war Hans Rosenblüt, der Schnepperer, der vielgewanderte Schalks- und Wappendichter, ein krummbuckliger munterer Gesell mit einer großen Klistierspritze im Arm. Mit langen Schritten folgte diesem der hochbeinige Hans Folz von Worms, der berühmte Barbier und Dichter der Fastnachtsspiele und Schwänke und als solcher Genoß des Rosenblüt und Vorzünder des Hans Sachs. Zwei Bartscherer und ein Schuhmacher pflegten so das junge Schoß der deutschen Bühne.

Liederreich waren alle die anderen Zünfte, die nun folgten in ihren bestimmten Farben an Kleid und Banner, die Schäffler und Brauer, die Metzger in rot und schwarzem, mit Fuchspelz verbrämtem Zunftgewande, die hechtgrauen und weißen Bäcker, die Wachszieher, lieblich in Grün, Weiß und Rot, und die berühmten Lebküchler, hellbraun und dunkelrot gekleidet; die unsterblichen Schuster schwarz und grün wie Pech und Hoffnung, buntflickig die Schneider. Mit den Damast- und Teppichwirkern erschienen schon namhafte Meister des höhern Gewerbes; denn sie brachten die fürstlichen Teppiche und Tücher hervor, mit denen die Häuser der Kaufherren und Patrizier geschmückt waren.

Alle jetzt erscheinenden Zünfte waren ausgefüllt von einer wahren Republik kraftvoller, erfindungsreicher Handwerks und Kunstmänner. Die Tüchtigkeit teilte sich unter die Gesellen, welche manchen berufenen Burschen aufzuweisen hatten, wie unter die Meister. Schon die Dreher zeigten als Genossen Hieronymus Gärtner, welcher mit kindlicher Andacht, als ein Werklein zum Preise Gottes, aus einem Stückchen Holz eine Kirsche schnitzte, die auf dem Stiele schwankte, und eine Fliege, die darauf saß, so zart, daß die Flügel und die Füße sich bewegten, wenn man sie anhauchte – der aber zugleich ein erfahrener Meister in Wasserwerken und kunstreichen Brunnen war.[520]

Aus der wirren Fülle von Erscheinungen, deren fast jede ihre anmutige Legende hatte, leben jetzt noch manche in meinem Gedächtnisse, und doch sind es wenige im Vergleich zum Ganzen. Unter den Hufschmieden, rot und schwarz gekleidet wie Feuer und Kohle, ging Meister Melchior; der die großen eisernen Schlangengeschütze aus freier Hand schmiedete; unter den Büchsenmachern der erfindungsreiche Geselle Hans Danner, der schon dazumal von den Metallen Späne trieb, als hätte er weiches Holz unter den Händen, und sein Bruder Leonhard, der Erfinder von mauerstürzenden Brechschrauben. Da ging auch Meister Wolff Danner, der Erfinder des Feuersteinschlosses, und neben ihm Böheim, der Meister der Geschützgießer, welche ihre gleißenden, wohlverzierten Geschützröhren, Kanonen, Metzen und Kartaunen durch alle Welt berühmt machten.

Die Zunft der Schwertfeger und Waffenschmiede allein umfaßte eine gegliederte Welt kunstreicher Metallarbeiter. Der Schwertfeger, der Haubenschmied, der Harnischmacher, jeder von diesen brachte den Teil der kriegerischen Rüstung, der seinem Namen entsprach, zur größten Gediegenheit und bewährte darin ein nachhaltiges Künstlerdasein. Wunderbar löste sich die strenge Einteilung in die Freiheit und Vielseitigkeit auf, mit welcher die schlichten Zunftmänner wieder zu den wichtigsten Taten und Erfindungen vorschritten und alle wieder alles konnten, oft ohne des Lesens und Schreibens mächtig zu sein. So der Schlosser Hans Bullmann, der Verfertiger großer Uhrwerke mit Planetensystemen, und der Vervollkommner derselben, Andreas Heinlein, welcher auch so kleine Uhren zuwege brachte, daß sie im Knopfe der Spazierstöcke Platz hatten; auch Peter Hele, der eigentliche Erfinder der Taschenuhren, ging hier unter dem handfesten Namen eines Schlossermeisters.

Noch seh ich auch unter den Holzschneidern ein kleines Männchen in einem Mäntelchen von Katzenpelz, den Hieronymus Rösch, den Katzenfreund, in dessen stiller Arbeitsstube überall jene spinnenden Tiere saßen. Und gleich hinter dem[521] grauschwarzen Katzenmännchen erblicke ich die lichte Erscheinung der Silberschmiede, in himmelblauem und rosenrotem Gewande mit weißem Überwurf, und die Goldschmiede, hochrot gekleidet mit schwarzdamastenem, reich mit Gold gesticktem Mantel. Silberne Bildtafeln und goldgetriebene Schalen wurden ihnen vorangetragen; die plastische Kunst lachte hier in silberner Wiege, und die neugeborene Kupferstecherei hatte hier ihren metallischen Ursprung, getrennt von dem Holzschnitt, welcher mit der schwärzlichen Buchdruckerei wandelte.

Noch sehe ich auch einen feinen Mann, dessen Legende mich besonders rührte, unter den Kupfertreibern, den Sebastian Lindenast, der seine kupfernen Gefäße und Schalen so schön und kostbar arbeitete, daß der Kaiser ihm das Vorrecht verlieh, sie zu vergolden, was sonst keiner durfte. Welch ein schönes Verhältnis zwischen dem Werkmann und dem obersten Haupte der Nation, diese Befugnis, ein geringes Metall um der edlen Form willen zum Goldrange zu erheben!

Gleich neben diesem sah ich den Veit Stoß, einen Mann von seltsamster Mischung. Er schnitt aus Holz so holde Marienbilder und Engel und bekleidete sie so lieblich mit Farben, güldenem Haar und Edelsteinen, daß damalige Dichter begeistert seine Werke besangen. Dazu war er ein mäßiger und stiller Mann, der keinen Wein trank und fleißig seiner Arbeit oblag, immer neue fromme Bilder für die Altäre erschaffend. Aber des Nachts machte er eifrig falsche Wertpapiere, um sein Gut zu mehren, und als er ertappt wurde, durchstach man ihm öffentlich mit einem glühenden Eisen beide Wangen. Weit entfernt, von solcher Schmach gebrochen zu werden, erreichte er in aller Gemächlichkeit ein Alter von fünfundneunzig Jahren und schnitt nebenbei Reliefkarten von Landschaften mit Städten, Gebirgen und Flüssen; auch malte er und stach in Kupfer.

Doch als ein ganzer und klassischer Genoß trat nun unter dem schlichten Namen eines Gelb- und Rotgießers Peter Vischer einher mit seinen fünf Söhnen, die Hantierer in glänzendem[522] Erze. Er sah aus mit seinem kräftig gelockten Bart, der runden Filzmütze und seinem Schurzfell wie der wackere Hephästos selber. Sein freundlich großes Auge verkündete, daß es ihm gelang, sich im Sebaldusgrabe ein unvergängliches Denkmal zu setzen, reich an Arbeit vieler Jahre und beschienen vom Abglanz griechischen Lebens, ein Wohnsitz vieler Bildwerke, die im lichten Raume den silbernen Sarg des Heiligen hüten. So wohnte der Meister selbst mit seinen fünf Söhnen samt ihren Weibern und Kindern in einem Hause und derselben Werkstatt, im Glanz neuer Werke.

Einer, der mir nicht viel weniger gefiel, war im Zuge der Maurer und Zimmerleute Georg Weber, groß und stark heranschreitend, zu dessen grauem Kleide es einer Unzahl von Ellen Tuches bedurfte. Der war freilich ein Wäldervertilger; denn mit seinen Werkleuten, die er alle so groß und stark aussuchte, wie er selber war, mit dieser Riesenschaft arbeitete er mächtig in Bäumen und Balken, sinnreich und künstlich, und fand nicht seinesgleichen. Er war jedoch ein trotziger Volksmann und machte im Bauernkrieg den Bauern Geschütze aus grünen Waldbäumen. Er sollte deshalb zu Dinkelsbühl geköpft werden; allein der Rat von Nürnberg löste ihn wegen seiner Kunst und Nützlichkeit aus und ernannte ihn zum Stadtzimmermeister. Er baute nicht nur schönes und festes Sparren- und Balkenwerk, sondern auch Mühl- und Hebemaschinen und gewaltige lasttragende Wagen und fand für jedes Hindernis, jede Gewichtmasse einen Anschlag unter seiner starken Hirnschale. Bei alledem konnte er weder lesen noch schreiben.

So folgten sich, da man eine ganze Zeit zusammenfaßte, Scharen von ausdrucksvollen Gestalten, die alle im Leben gestanden hatten, bis dieser Teil des Zuges mit der Zunft der Maler und Bildhauer und der Erscheinung Albrecht Dürers abschloß. Unmittelbar voran ging ihm der Edelknabe mit dem Wappenschilde, der in blauem Felde drei silberne Schildchen zeigt und von Maximilian dem großen Meister für die ganze[523] Künstlerschaft gegeben worden ist. Dürer selbst schritt zwischen seinem Lehrer Wohlgemuth und Adam Kraft; die eigenen hellen Ringellocken des Darstellers fielen nach beiden Seiten gleich gescheitelt ganz so auf die breiten, mit Pelz bedeckten Schultern wie im bekannten Selbstbildnis, und mit anmutiger Geschicklichkeit trug der geschmeidige Mann die feierliche Würde, die auf ihm lastete.

Nachdem nun, was eine Stadt baut und ziert, vorangegangen, trat gewissermaßen die Stadt selbst auf. Von zwei bärtigen Hellebardieren begleitet, wurde ihr das große Banner vorgetragen. Hoch trug der kecke Fähndrich die wallende Fahne, im üppig geschlitzten Kleide, die linke Faust stattlich in die Seite gestemmt. Alsdann kam der Stadthauptmann, kriegerisch prächtig in Rot und Schwarz gekleidet, mit dem Brustharnisch angetan und den Kopf mit breitem, von Federn wogendem Baretthute bedeckt. Ihm folgten Bürgermeister, Syndikus und Ratsherren, unter ihnen manch ein im weiten Reich angesehener und ersprießlicher Mann, und endlich die festlichen Reihen der Geschlechter. Seide, Gold und Juwelen glänzten hier in schwerem Überfluß. Die kaufmännischen Patrizier, deren Güter auf allen Meeren schwammen, die zugleich in streitbarer Haltung mit dem selbstgegossenen Geschütze die Stadt verteidigten und an den Reichskriegen teilnahmen, übertrafen den mittlern Adel an Pracht und Reichtum wie in Gemeinsinn und sittlicher Würde. Ihre Frauen und Töchter rauschten wie große lebende Blumen einher, einige mit goldenen Netzen und Häubchen um die schöngezöpften Haare, andere mit federwallenden Hüten, diese den Hals mit feinstem Linnen umschlossen, jene die entblößten Schultern mit köstlichem Rauchwerk eingerahmt. Inmitten dieser glänzenden Reihen gingen einige venezianische Herren und Maler, als Gäste gedacht, poetisch in ihre welschen, purpurnen oder schwarzen Mäntel gehüllt. Diese Gestalten lenkten die Phantasie auf die Lagunenstadt und von da in die Weite an alle Küsten des Mittelmeeres.[524]

Eine zweite breite Reihe von Trompetern und Paukern, überragt vom Doppelaar, führte endlich schmetternd das Reich heran, mit allem, was es an Tapferkeit und Glanz um den Kaiser zu scharen hatte. Ein Haufen Landsknechte mit seinem robusten Hauptmann gab sogleich ein lebendiges Bild jener Kriegszeit und ihres unruhigen, wilden und sanglustigen Volkstumes. Durch den Wald von achtzehn Schuh langen Spießen, unter dem sie einhermarschierten, sah der innere Blick Berg und Tal, Wälder und Felder, Burgen und Vesten, deutsches und welsches Land sich ausbreiten, nachdem die mauerumschlossene, reichgebaute Stadt sich vorhin kundgetan. Die Schar der Kriegsgesellen, aus dem jungen Volke und einigen älteren Schnapphähnen bestehend, hatte sich so eifrig in Tracht, Sitten und Lieder des geschichtlichen Vorbildes eingelebt, daß von diesem Feste her sich eine eigene Landsknechtkultur in Wort und Bild auftat und die bloßen sonnverbrannten Nacken der Schwartenhälse, ihre zerschnittenen Bauschkleider und kurzen Schwerter noch langehin überall zu sehen waren.

Nun wurde es aber wieder feierlicher und stiller. Vier Edelknaben mit den Wappenschilden von Burgund, Holland, Flandern und Österreich, dann vier Ritter mit den Bannern von Steier, Tirol, Habsburg und mit dem kaiserlichen Paniere traten auf, dann ein Schwertträger und zwei Herolde. Nach der Flamberge tragenden Leibwache des Kaisers kam eine Schar Edelknaben in kurzen goldstoffenen Wämsern, goldene Pokale tragend, dem kaiserlichen Mundschenk vorauf, und ebenso gingen Jäger und Falkoniere dem Oberjägermeister vorauf. Fackelträger mit vergittertem Gesicht umgaben den Kaiser. Rock und Hermelinmantel von schwarzdurchwirktem Goldstoff, einen goldenen Brustharnisch tragend, auf dem Barett den königlichen Reif, ging Maximilian heroisch daher, das Angesicht auf das Heldenmütige, Ritterhafte und Sinnreiche gerichtet. So konnte man selbst von dem lebenden Konterfei sagen. Denn es hatte sich für das Bild des Kaisers ein junger[525] Maler von den fernsten Grenzen des ehemaligen Reiches gefunden, der in Haltung und Angesicht ohne alle Zutat wie dazu geschaffen war.

Unmittelbar hinter dem Kaiser ging sein lustiger Rat Kunz von der Rosen, aber nicht gleich einem Narren, sondern wie ein kluger und wehrbarer Held launiger Weisheit. Er war ganz in rosenroten Samt gekleidet, knapp am Leibe, doch mit weiten ausgezackten Oberärmeln. Auf dem Kopfe trug er ein azurblaues Hütchen mit einem Kranze von je einer Rose und einer goldenen Schelle; an der Hüfte indessen hing an rosenfarbenem Gehänge ein breites, langes Schlachtschwert von gutem Stahl. Wie sein Held und Kaiser war er nicht sowohl ein Dichter als selbst ein Gedicht.

Nun schritt in Stahl gehüllt und waffenklirrend einher, was von der Lüneburger Heide bis zum alten Rom, von den Pyrenäen bis zur türkischen Donau gefochten und geblutet hatte, die glänzende Führerschaft des Reiches der Erbschenk und Statthalter Siegmund von Dietrichstein und der zum zeitweiligen Feldherrn gediehene Jurist Ulrich von Schellenberg, Georg von Frundsberg, Erich von Braunschweig, Franz von Sickingen, das Freundespaar Roggendorf und Salm, Andreas von Sonnenburg, Rudolf von Anhalt und die übrigen, jeder mit seinen Waffen- und Trophäenträgern, überschattet von den Fahnen mit den Namen der Schlachten und Belagerungen, begleitet von Schilden mit kühnen oder edelsinnigen Wahlsprüchen. In diesem Aufzuge sah man vorzugsweise schöne und kräftige Männergestalten, da hier meistens solche ihren Platz genommen, die als die Schmiede ihres Glückes sich auf die Höhe des Lebens und Gelingens durchgekämpft hatten und in jeder Hinsicht geeignet waren, das Tüchtigste vorzustellen. Ich hatte mich an meinem noch verborgenen Platze etwas vorgedrängt, um besser sehen zu können, was uns voranzog, und verschlang alles mit den Augen wie einer, der das Zweite Gesicht hat. Meine eigene Mitspielerschaft ganz vergessend, erlabte[526] ich mich an dem Anblick der Herrlichkeit; als ob ich selbst ein Nachkomme der verschwundenen Reichsgenossen wäre, atmete ich voll stolzer Freude, die sich womöglich noch steigerte, als nun unter den gelehrten Räten des Königs der berühmte Willibald Pirckheimer auftrat, der in dem sogenannten Schwabenkriege den nürnbergischen Zuzug in der Heerfolge Maximilians gegen die Schweizer geführt und jenen Feldzug beschrieben hat. Denn plötzlich fiel mir nun ein, wie dieser selbe Ritterkönig mit allen diesen Kriegsherren, als er mein Vaterland hatte zum Reiche zurückzwingen wollen, das gegen meine Vorfahren aufgerichtete Reichsbanner hatte niederlassen und ohne Erfolg abziehen müssen, in die Klage ausbrechend, er könne die Schweizer nicht ohne Schweizer schlagen. So vermochte ich um so ungetrübter mich allen nationalen Selbstzufriedenheiten hinzugeben und bedachte nicht, wie unablässig die Eimer des Geschickes steigen und fallen und wie wenig, was meine alten Eidgenossen betraf, dieselben eigentlich trotz ihrer Tapferkeit von allen ihren Nachbaren geliebt und geschätzt waren.

Ich hätte auch beinahe übersehen, daß der lange Prachtzug des letzten Ritters zu Ende ging und, während die Scharen der bisher Vorübergezogenen im weiten Rundgange sich kreuzten, schon der Mummenschanz heranrauschte, in welchem alles sich auftat, was die Künstlerschaft an übermütigen Sonderlingen, Witzbolden, Lückenbüßern und Kometennaturen vermochte.

Auf einem störrischen Esel eröffnete der Mummereimeister den träumerischen Zug, und hinter ihm tanzten die bunten Narren Gylyme, Pöck und Guggerillis, die Zwergschälke Metterschi und Duweindl und viele andere Narren daher, unter welche ich als ein ziemlich stiller Narr zurückgeschlüpft war. Dann kam der bekränzte Thyrsusträger, welcher die behaarte, gehörnte und geschwänzte Musikbande führte. In ihren Bockshäuten nach der eigenen Musik hüpfend und hopsend, brachten diese Gesellen eine uralte, seltsam schreiende und brummende[527] Musik hervor, bald in der Oktave! bald in lauter Quinten pfeifend und schnurrend, aus der obersten Höhe in die unterste Tiefe springend.

Mit goldenem umlaubtem Thyrsusstabe schritt der Anfahrer des Bacchuszuges vor. Ein Kranz blauer Trauben umschattete seine glühende Stirn; von den Schultern flatterte und wallte eine festliche Last buntgestreifter Seidenbänder bis auf die Füße und verhüllte wehend den schlanken Körper. Nur die Füße waren mit goldenen Sandalen bekleidet. Halb mittelalterlich, halb antik geschürzte Winzer umschwärmten die biblischen Kundschafter aus dem Gelobten Lande, welche an tiefgebogener Stange die große Traube trugen, gefolgt von vier noch kernhafteren Männern, die zwischen vier aufrechten Fichten eine noch viel mächtigere Traube daherbrachten. Alle übrige Zubehör eines bacchantischen Getümmels mit Becken, Schalen und Stäben zog und schob den Wagen des efeubekränzten Gottes, über dem sich ein dunkelblauer Himmel von Trauben wölbte.

Dem Triumphwagen der Venus, welcher sich hierauf nahte, gingen als Diener des Mars zwei zarte, in Landsknechttracht gekleidete Knaben mit Trommel und Pfeife vorauf, die gekerbten Federhüte auf dem Rücken tragend, daß das bunte Gefieder auf dem Boden schleifte. Mit schelmischer Feierlichkeit ließen sie ihren Kriegsmarsch ertönen, wobei die mehr sanfte als schrille Flöte immer denselben sehnsüchtigen Satz wiederholte. Könige mit Krone und Zepter, zerlumpte Bettler mit dem Schnappsack, Pfaffen und Juden, Türken und Mohren, Jünglinge und Greise zogen den Wagen herbei. Die auf ihm ruhende Venus war niemand anders als die schöne Rosalie, halb liegend auf einem Rosenlager unter durchsichtiger Blumenlaube. Ihr Kleid war von Purpurseide, aber vom Schnitte eines patrizischen Festkleides der damaligen Zeit, wie etwa Altrecht Dürer eine mythologische Gestalt zu zeichnen liebte. Der schwere Stoff bildete sogar getreu den prächtigen gebrochenen[528] Faltenwurf an den weiten langen Ärmeln und der königlichen Schleppe, und ein breiter Damenhut von Purpursammet, mit weißen Federn umsäumt, überschattete waagrecht das Haupt, von einem goldenen Stern überstrahlt. In der Hand hielt sie eine goldene Weltkugel, auf welcher zwei mit den Flügeln schlagende und sich schnäbelnde Tauben saßen. Unter ihren Gefangenen gingen zu beiden Seiten des Wagens der heidnische Philosoph Aristoteles und der christliche Dichter Dante Alighieri, welche in ehrwürdigster Haltung ihr zu besonderm Schutz und Handreichung dienten. Sie aber schaute dann und wann rückwärts, da gleich hinter ihrem Wagen der starke Erikson als wilder Mann einherkam, der den Zug der Diana anführte, Lenden und Stirn in dichtes Eichenlaub gehüllt, ein Bärenfell um die Schultern geschlagen. Viele Jäger folgten ihm mit grünen Zweigen auf Hüten und Kappen, die großen Hifthörner mit Laubwerk umwunden, das Jagdkleid mit Iltisfellen, Luchsköpfen, Rehfüßen und Eberzähnen besetzt. Einige führten Rüden und Windspiele, einige mit Steigeisen am Gürtel trugen Gemsböcke auf dem Rücken, andere Auerhähne und Bündel von Fasanen, und wieder andere auf Bahren Schwarzwild und Hirsche mit versilberten Hauern, Geweihen und Schalen. Dann trug eine Schar wilder Männer ein wanderndes Gehölz belaubter Bäume verschiedener Art, in welchen Eichhörnchen kletterten und Vögel nisteten. Durch die Stämme dieses Waldes sah man schon die silberne Gestalt der Diana schimmern, der schmalen Agnes, wie sie von Lys gekleidet und geschmückt worden. Ihr Wagen war von allem möglichen Wilde bedeckt, und dessen Köpfe umkränzten ihn mit vergoldetem Horn und bunten Federn. Sie selbst saß mit Bogen und Pfeil auf einem Felsen, aus welchem ein Quell in ein Becken von Tropfsteinen sprang; wilde Männer, Jäger und Nymphen nahten sich in buntem Gedränge, um aus hohler Hand den Durst zu stillen.

Agnes war in ein Gewand von Silberstoff gekleidet, das bis an die Hüften sich knapp anschmiegte und alle ihre geschmeidigen[529] Formen wie aus dem hellen Metalle gegossen erscheinen ließ Die kleine klare Brust war wie von einem Silberschmied zierlich getrieben. Vom Schoße abwärts, den ein grüner Florgürtel mehrfach umwand, floß das Gewand weit und faltig, wiederholt geschürzt, doch bis auf die Füße, die mit silbernen Sandalen keusch hervorsahen. Im schwarzen, griechisch aufgebundenen Haare machte sich mit Mühe die blanke Mondsichel sichtbar, und wenn sich der Kopf ein wenig regte, wurde sie von den Locken zeitweise ganz bedeckt. Das Gesicht der Agnes war weiß wie Mondschein und noch blasser als gewöhnlich; ihr Auge flammte dunkel und suchte den Geliebten, während in dem silberglänzenden Busen der kühne Anschlag, den sie gefaßt, das Herz pochen machte.

Der geliebte Lys aber, der den Aufzug eines der Jagd obliegenden Assyrerkönigs gewählt, um seiner Diana zur Seite gehen zu können, hatte, sobald er die Rosalie-Venus erblickt, jene verlassen, sich unter den Triumphzug der letzteren gemischt, betrachtete sie unverwandt gleich einem Nachtwandler und wich keinen Schritt von ihrem Wagen, ohne seines Tuns bewußt zu werden.

Meinerseits hatte ich mich, meinem alten Zunamen getreu, in ein laubgrünes Narrenkleid gesteckt und um die Schellenkappe ein Geflecht von Disteln und Stechpalmzweigen mit roten Beeren geschlungen. Diese jagdverwandte Tracht benutzte ich nun, als ich sah, wie die Dinge standen oder vielmehr gingen, um ab und zu durch den wandelnden Wald zu huschen und der ärmsten Diana zur Seite zu bleiben, da sonst kein Befreundeter um sie war; denn Erikson, der wilde Mann, hielt sein Auge auf Lys und Rosalien gerichtet, ohne indessen stark aus seiner Gemütsruhe zu geraten.

Den südlich-griechischen Bildern folgte als nordisch-germanisches Märchen der Zug des Bergkönigs. Ein Gebirge von Erzstufen und Kristallen war auf seinem Wagen errichtet, und darauf thronte die riesige Gestalt in grauem Pelztalar, den[530] schneeweißen Bart wie das Haar bis auf die Hüften gebreitet und diese davon umwallt. Das Haupt trug eine hohe goldene Zackenkrone. Um ihn her schlüpften und gruben kleine Gnomen in den Höhlen und Gängen und waren wirkliche Bübchen; aber ein kleiner Berggeist, welcher vorn auf dem Wagen stand, ein strahlendes Grubenlicht auf dem Kopf, den Hammer in der Hand, war ein kaum drei Spannen langer, völlig ausgewachsener Künstler, ebenmäßig fein gebaut, mit männlich sauberm Gesichtchen, blauen Augen und blondem Zwickelbart. Das kleine Wesen, einem Zaubermärchen gleichend, war nichts weniger als eine bloße Seltsamkeit, sondern ein solider und rühmlicher Maler, ein lebendiges Zeugnis, daß diese bedeutende Künstlerschaft nicht nur alle Gliederungen eines großen Volkes, sondern auch alle Gestaltungen des körperlichen Daseins umfaßte.

Hinter dem Bergkönig auf demselben Wagen schlug der Prägemeister aus Silber und blankem Kupfer kleine Denkmünzen auf das Fest; ein Drache spie sie in ein klingendes Becken, und zwei Pagen, Gold und Silber genannt, warfen die Schimmerstücke unter das schauende Volk. Ganz zuletzt und einsam schlich der Narr Gülichisch daher und schüttelte traurig den leeren Beutel.

Freilich folgte dem hinkenden Narren auf dem Fuße wieder der glanzvolle Anfang; wieder gingen die Zünfte, das alte Nürnberg, Kaiser und Reich und die Fabelwelt vorüber, und so zum dritten Male, und immer ging Lys neben dem Wagen der Venus, schritt Erikson aufmerksam dahinter her und schaute Agnes, welche in ihrem Walde nicht sehen konnte, was vorging, bald ratlos umher, bald schlug sie traurig die Augen nieder.

Die ganze Masse reihte sich nun in eine gedrängte Ordnung und ließ ein volltöniges Festlied erschallen, um dem wirklichen Könige, in dessen Machtkreis zuletzt diese ganze Traumwelt hing, ihre Huldigung darzubringen. Dann bewegte sich der lange Zug an der im Logensaal versammelten Familie des[531] Landesherren vorbei und auf bedeckten Gängen in das Königsschloß hinüber, durch dessen Säle und Korridore, welche alle von Zuschauern angefüllt waren. Der zufriedene, ja vergnügt scheinende Monarch, welcher die rauschende und farbenstrahlende Festfreude gewissermaßen als den Lohn seines eigenen Verdienstes betrachten durfte, saß auf goldenem Sessel in der Mitte der Seinigen und besah sich nun diese und jene Erscheinung des vorüberwallenden Zuges genauer und richtete an manchen einzelnen ein Scherzwort. Als ich in seine Nähe kam, hatte ich ein kleines Hühnchen mit ihm zu pflücken. Denn vor kurzer Zeit, da ich nach dem Rate des trinksamen Eichmeisters in der Abenddämmerung durch eine stille Straße ging, um den bescheidenen Abendtrunk aufzusuchen, begegnete ich dem mir unbekannten schlank hagern Manne, der plötzlich seinen raschen Schritt anhielt und mich achtlos Vorübergehenden fragte, warum ich ihm nicht die gebührende Ehre erweise? Erstaunt sah ich ihn an; aber schon hatte er mir den Hut vom Kopfe genommen, mir in die Hand gegeben und sagte: »Kennen Sie mich nicht? Ich bin der König!« worauf er seinen Weg in die Dämmerung hinein fortsetzte. Ich brachte meinen Hut wieder, wo er hingehörte, sah dem schattenhaften Wandler noch verblüffter nach und wußte nicht, was zu tun sei. Endlich sagte ich mir, wenn es ein Spaßvogel gewesen, der sich einen Scherz gemacht, so handle es sich nicht um die Ehre; sei es aber wirklich der König, dann auch nicht; denn wenn die Könige nicht beleidigt werden dürfen, so können sie auch nicht beleidigen noch beschimpfen, da ihre einsame Willkür jede gewöhnliche Wirkung aufhebe. Heute erkannte ich, als ich ihm vorüberging, sogleich, daß es der König gewesen. Die Narrenfreiheit benutzend, sprang ich aus dem Zuge heraus, trat vor ihn, streckte meinen Kopf dar und rief fröhlich: »Hei, Bruder König! warum greifst du nicht an meinen Hut?« Er sah mich aufmerksam an, erinnerte sich offenbar und verstand auch, daß ich die Disteln und Stechpalmen meinte, an denen er sich verletzen würde.[532] Aber er sagte kein Wort, sondern faßte lächelnd mit spitzen Fingern zwei der aufragenden Schellenzipfel meiner Kappe, hob diese ganz sachte in die Höhe, so daß ich barhäuptig dastand, und ließ sie ebenso sanft wieder nieder. Da sah ich, daß hier nicht aufzukommen war, ließ den Handel fallen und trollte weiter.

Die Prachttreppen hinunter, durch Bogengänge und Säulenhallen, über die von Pechflammen erleuchteten Plätze, von den Wogen des Stadtvolkes angefüllt, überall gingen die Künstler an ihren Werken vorbei, bis der Zug in dem großen Festgebäude mündete, dessen Räume für die weiteren Taten zubereitet und geschmückt waren. Der größte Saal war zu Bankett, Spiel und Tanz eingerichtet, und zwar ganz im Stile des gefeierten Zeitalters, eine Reihe von Nischen und Nebengemächern für den Aufenthalt einzelner Gruppen und Gesellschaften gartenähnlich verkleidet. Nachdem die allgemeine Tafelfreude genugsam vorgerückt, begann auch unverweilt Tanz und Spiel jeder Art an allen Enden. Die Meistersänger hielten bei offener Türe Singschule in einem kleinern Saale. Es wurde nach den zünftigen Gebräuchen wettgesungen, ein Schulfreund oder Singer zum Meister gesprochen und dergleichen mehr. Die vorgetragenen Gedichte enthielten hauptsächlich Hecheleien der verschiedenen Kunstrichtungen gegeneinander, Verspottung anmaßlichen oder eigensinnigen Wesens an Leuten und Schulen, Klagen über gesellschaftliche Übelstände, dann auch den Preis des Unbestrittenen, Anerkannten. Es war sozusagen eine allgemeine Abrechnung, bei welcher jede Richtung und jede Größe ihren Vertreter mit fertigem Spruche unter die Singer gestellt hatte. Der Inhalt der lebhaften satirischen Verse nahm sich höchst seltsam aus in der Form, in welcher er vorgebracht wurde. Denn während alle Singenden in denselben einförmigen und hölzern trockenen Knittelversen ihre angeblichen Stollen und Abgesänge vortrugen, wurde doch jeder einzelne unter Ankündigung einer neuen Weise aufgerufen. Da wurde gesungen[533] in Orpheus' sehnlicher Klagweise, der gelben Löwenhautweise, der schwarzen Agtsteinweise, der Igelweise, verschlossenen Helmweise, überhohen Bergweise, krummen Zinkenweise, glatten Seidenweise, Strohhalmweise, spitzigen Pfriemweise, stumpfen Pinselweise, blauen Berlinerweise, rheinischen Senfweise, glitzerigen Turmgockelweise, sauren Zitronweise, zähen Honigweise usw., und das Gelächter war groß, wenn nach diesen pomphaften Ankündigungen immer der alte grämliche Leierton sich von neuem hören ließ. Einige Singer packten auch ihren Gegenstand unmittelbar aus dem gegenwärtigen Augenblicke; so rächte sich ein Schuster für den Stolz, mit welchem eine Edelfrau, ihrer Rolle getreu, ihm soeben den Tanz verweigert, durch lautes Anrühmen der Gunst, die bei mehr als einer goldenen Dame zu holen sei, wenn man es nur recht anzufangen wisse, worauf ein Weißgerber mit Aufwerfung der alten Frage antwortete, ob Keckheit oder Bescheidenheit eher zum Ziele führe, und ein Wachszieher schließlich die Frauen für solche Wesen erklärte, welche stets die eine Art vorzögen, wenn die andere gerade nicht zu haben wäre.

So grobe Reden durfte die Frau Venus, die mit einem Teile ihres Gefolges der Singschule beigewohnt, nicht anhören. Sie brach mit verstellter Entrüstung auf und zog sich in eines der Seitengemächer zurück, wo sie ihren durch ein paar anmutige Frauen vermehrten Hof hielt. In einer anstoßenden ganz grünen Nische hatten die Jäger ihren Sitz aufgeschlagen, und ihrer Diana dienten einige junge Nymphen zur Gesellschaft; sie ließen sie aber meistens allein sitzen und schwärrnten mit den wilden Jagdgenossen auf den Tanz aus. Ich setzte mich daher öfter neben sie und suchte ihre Verlassenheit durch Gespräch und übliche Dienstleistungen so ungesehen als möglich zu machen, bis die zu erhoffende Wendung der Dinge herbeikäme. Erikson ging ab und zu; er konnte seiner Wildemannstracht halber nicht wohl tanzen noch sich in zu große Nähe der Frauen setzen. Die Rolle war ihm erst in den letzten Tagen[534] durch eingetretenen Notfall aufgedrängt worden, und er hatte sie nicht ungern übernommen, weil sie ihn von der Frau Rosalie etwas getrennt hielt und hiedurch das zwischen ihnen waltende Verhältnis nicht zu früh ganz offenkundig wurde, und Rosalie war damit einverstanden. Jetzt bereute er fast sein Verfahren, als er sah, wie Lys fort und fort dicht in ihrer Nähe blieb, wie sie lachte, scherzte, von freundlichem Liebreize strahlte und den eifrig sie unterhaltenden Untreuen mit anmutig naiven Fragen in einer Bewegung erhielt, deren Verblendung die schöne Sicherheit nicht ahnte, in welcher die Frau lebte. Weder er noch Erikson bemerkten den scheinbar zufälligen, flüchtigen, aber zufriedenen Blick, mit welchem sie mitten im Gespräche der Gestalt des wilden Mannes folgte, wenn er zuweilen in einiger Entfernung vorbeiging.

Agnes hatte schon lange stumm neben mir gesessen, während die kostbare Zeit dieser Nacht unaufhaltsam vorrückte. Sie wiegte, den Busen von ungestümen Gefühlen bewegt, das schwarzgelockte Haupt, und nur zuweilen schoß sie einen flammenden Blick zu Lys und Rosalien hinüber, zuweilen auch sah sie ruhig verwundert hin, aber stets erblickte sie dasselbe Schauspiel. Zuletzt verstummte auch ich und versank in trübes Sinnen über eine so große Schwäche des von mir hochgehaltenen Freundes. Wie eine unheimliche Naturerscheinung beunruhigte mich dieser rücksichtslose Wankelmut, der zu einer Art frecher Kühnheit wurde, und ich litt unter dem Eindruck, mit welchem man im Traum einen Sinnlosen sich in den Abgrund stürzen sieht.

Ein tiefer Seufzer weckte mich auf; Agnes hatte gesehen, wie Lys mit Rosalien zum Tanze schritt, der im nahen Hauptsaale rauschte und wogte; plötzlich forderte sie mich auf, sie ebenfalls hinzuführen und mit ihr zu tanzen. Schon drehten wir uns mit der buntschimmernden Menge und begegneten zweimal der rosigen Venus, deren Purpurgewand flog und den mit ihr tanzenden Lys zeitweise halb bedeckte. Dieser grüßte[535] uns froh und zufrieden, wie man Kinder grüßt, die sich gut zu unterhalten scheinen. Wieder trafen wir am Ende des Walzers zusammen; Rosalien gefiel das zierliche Kind und verlangte es in ihrer Nähe zu haben, während ich an den Narrenspielen teilnehmen mußte, die den Tanz jetzt ablösten.

An einem langen Seile führte Kunz von der Rosen alle vorhandenen Narren durch das Gedränge. Jeder trug auf einer Tafel geschrieben den Namen seiner Narrheit, und von den leichteren schied der lustige Rat neun schwere aus und stellte sie vor dem Kaiser als Kegelspiel auf. So standen da vor aller Augen Hochmut, Neid, Grobheit, Eitelkeit, Vielwisserei, Vergleichungssucht, Selbstbespiegelung, Halsstarrigkeit und Wankelmut. Mit einer mächtigen Kugel, welche die übrigen Narren mit komisch heftigen Gebärden herbeiwälzten, versuchte nun mancher Ritter und Bürger nach den neun Kegelnarren zu schieben, aber nicht einer wankte, bis endlich der heroische Max, welcher das ganze deutsche Volk darstellte, sie alle mit einem Wurfe über den Haufen warf, daß sie übereinanderpurzelten.

Aus dieser Niederlage entwickelte sich eine scherzhafte Auferstehung, indem Kunz dem sieghaften König als Belohnung die wiedererstandenen Bildwerke der alten Welt vor Augen brachte und zunächst die gefallenen Narren als Niobidengruppe aufrichtete, welche freilich zur Zeit Maximilians noch in der Erde lag. Aus der tragischen Darstellung löste sich unversehens die Gruppe der Grazien, von drei jungen, zierlich feinen Narren gebildet, welche sich nach einmaligem Umdrehen wieder um einen Mann verminderten und als Amor und Psyche umfingen, bis diese sich auflösten und nur ein Narzissus übrigblieb. Aber auch dieser schwand hinweg, und an seiner Stelle lag jener kleinste Zwerg als sterbender Fechter am Boden und machte seine Sache so vortrefflich, daß alle Zuschauer zu lautem Beifall gerührt wurden und die gesamte Narrenschaft herbeieilte, ihn samt der umgekehrten Fischschüssel, auf welcher er lag, emporhob und im Triumph davontrug.[536]

Als auch diese Wolke sich verzogen, wurde eine Laokoonsgruppe sichtbar, von Erikson und zwei jungen Satyrn mit Hilfe zweier großen Schlangen dargestellt, die man aus Draht und Leinwand gemacht hatte. Es war keine leichte Anstrengung, mit gespannten Muskeln in der vorgeschriebenen Lage zu verharren; diese wurde aber noch schwieriger, als er in dem krampfhaft zurückgebogenen Kopfe die Augen einmal abwärts bewegte und in dem nunmehrigen augenblicklichen Gesichtsfelde Rosalien sah, wie sie von Lys am Arme vorübergeführt wurde, sich lächelnd, aber flüchtig nach ihm umwendete und dann mit ihrem Führer plaudernd sich im Gedränge verlor. Auch hörte er in der Nähe sagen: »Da geht ja die schöne Venus die ganze Zeit mit dem reichen Fläming oder Friesen, oder was er ist! Gut genug sieht er übrigens aus, und sie wird denken schön und reich, sind beide gleich!«

Sobald er die Schlangen abgestreift hatte und frei war, stürmte Erikson durch das Haus und bettelte von zechenden Bekannten entbehrliche Gewandstücke zusammen. Wunderlich gekleidet, teilweise ein Bischof, ein Jäger und ein wilder Mann, den Kopf noch grün belaubt, suchte er die Verschwundenen auf und fand sie in dem größern Kreise, in welchem die Bacchusleute, der Hof der Venus und die Jäger sich vereinigt hatten. Er war nicht eifersüchtig und schämte sich sogar des Gedankens, daß er es je sein könnte, weil die begründete wie die grundlose Eifersucht diejenige Würde vernichtet, deren die gute Liebe bedarf. Er wußte nur, daß in der Welt alles möglich sei und das Folgenreichste oft von einer kleinen Unterlassung abhänge, welche die Dinge ohne Not verändere, und überdies war er zu dieser Zeit noch ungewiß, ob das Verraten von Ruhe oder Unruhe welches von beiden für Rosalien eher beleidigend sein könnte. Denn wenn sie sich die Mühe gab, die Bewerbungen des Niederländers so offenkundig zu ertragen, und dabei eine geheime Absicht verbarg, so mußte Erikson sich artigerweise auch die Mühe geben, einen solchen Vorgang zu verstehen.[537]

Die Ruhe gewann indessen die Oberhand, als er das vermißte Paar mitten in unserm mythologischen Kreise sitzen sah; er nahm gleichmütig in der Nähe Platz, mußte aber alsobald seine Aufmerksamkeit wieder anstrengen. Lys führte seine Reden über durchaus unverfängliche, ja gleichgültige Dinge, aber mit jenem unmittelbar an die Frau gerichteten vertrauten Tone, welchen solche Eroberer anzuschlagen pflegen, um die Welt an das Unvermeidliche beizeiten zu gewöhnen. Erikson ertrug manches an ihm, ohne zu richten; jetzt aber stieg ihm doch der Gedanke auf, ob der Freund nicht doch einer von den Tröpfen sein dürfte, deren Hauptstück darin besteht, goldene Uhren zu stehlen oder einem andern das Weib zu nehmen. Es gibt ja, dachte er, bei beiden Geschlechtern solche Raub- und Wechseltiere, die nur dann glücklich sind, wenn sie erst fremdes Glück zerstört haben! Freilich nehmen sie nur, was sie kriegen können, und die Ware ist auch meistens darnach! Allein diesmal wäre es wirklich schade! Und er betrachtete mit neuer Besorgnis und Bewunderung Frau Rosalien, wie sie mit unverwüstlicher Holdseligkeit Lysens Gespräch anhörte und ihn mit unwiderstehlichem Lächeln zu klugen und zuversichtlichen Redensarten verlockte. Derart beschäftigt, konnte er nicht beachten, was mit Agnes vorging und wie ich als ihr Abgesandter abermals zu Lys herüberkam und ihn leise, aber inständig bat, nur ein einziges Mal mit ihr zu tanzen. Da Lys eben eine kleine Pause machte, schreckte er auf wie ein balzender Auerhahn, aber nicht um davonzufliegen, sondern mich mit unterdrückter Stimme anzufahren: »Was ist denn das für eine Sitte an einem jungen Mädchen? Tanzt miteinander und laßt mich zufrieden!«

Ich ging hin, um das schmerzlich erregte Wesen so gut möglich zu trösten und hinzuhalten; doch war mir Erikson schon zuvorgekommen, welchem Rosalie, während ich mit Lys gesprochen, einige Worte zugeflüstert hatte, die ihn munter zu machen schienen. Er führte die schimmernde Gestalt in die Tanzreihen und schwang sich mit ihr ebenso kraftvoll als leicht[538] herum, und Agnes flog in eigener Kraft mit ihm und um ihn herum, wie wenn ihre feinen Knöchel von Stahl gewesen wären. Hernach wurde sie von Herrn Franz von Sickingen aufgefordert, der noch nicht gewillt war, sich in einem Harnischkasten begraben zu lassen. Sie erschien auch in dem Figurentanze, der aufgeführt wurde, wieder so fremdartig reizend, daß der große Meister Dürer selbst sich an den Weg stellte und seiner Rolle getreu kein Auge von ihr verwandte, sein Büchlein hervorzog und eifrig zu zeichnen begann. Der artige Einfall rief großes Vergnügen hervor; man hielt inne, und es sammelte sich eine beifällige, fast ehrfürchtige Menge, etwa wie wenn der alte Meister leibhaftig erschienen und zeichnend gesehen worden wäre.

Es war noch nicht der Gipfel der Ehren, die Agnes heute erlebte; der kaiserliche Weißkunig ließ sich im Vorbeispazieren von seinem Gefolge über den Auftritt Bericht geben, die schlanke Diana sich vorstellen und bat den von Sickingen mit huldreichen Worten, sie ihm für einen Rundgang zu überlassen. Unter dem Einfallen des vollen Orchesters ging sie an der Hand des festlichen Traumköniges um den Saal, während überall auf ihrem Wege die Ritter, Edeldamen und Patrizierinnen sich verbeugten, die Bürger ihre Mützen zogen.

Ihr Gesicht war blühend gerötet von Erregung und Hoffnung, als sie mit so rühmlichem Erfolge, nachdem der Kaiser sie an Sickingen, dieser an Erikson feierlich abgegeben hatte, von letzterm an ihren Platz zurückgeführt wurde. Allein der Geliebte hatte nichts von allem gesehen und nahm auch ihre Rückkehr nicht wahr. Rosalie hatte sich während der Zeit ihres breiten Federhutes entledigt und denselben Lysen zum Halten gegeben; und wie sie nun mit freiem Kopfe dasaß und ihr ambrosisches Haar mit den weißen Fingern ordnete, wirkte ihre Schönheit mit erneuter Betörung auf ihn ein.

Jetzt erblaßte Agnes, wendete sich zu mir und bat mich, ihm zu sagen, sie wünsche nach Hause gebracht zu werden. Sogleich eilte er herbei, besorgte den warmen Mantel des Mädchens[539] und ihre Überschuhe, und als sie gut verhüllt war, führte er sie, mich hinzuwinkend, in den Hof, legte ihren Arm in den meinigen und ersuchte mich, indem er sich von Agnes in freundlich väterlicher Weise verabschiedete, seine kleine Schutzbefohlene recht sorgsam und wacker nach Hause zu geleiten.

Zugleich verschwand er, nachdem er uns beiden die Hände gedrückt, wieder in der Menge, welche die breite Treppe auf- und niederstieg.

Da standen wir nun auf der Straße; der Wagen, welcher Agnesen mit ihrem Liebesentschlusse hergebracht, war nicht zu finden, und nachdem sie traurig an das erleuchtete Haus, in welchem es sang und klang, hinaufgesehen, kehrte sie ihm noch trauriger den Rücken und trat, von mir geführt, den Rückweg durch die stillen Gassen an, in denen der Morgen zu dämmern begann.

Sie hielt das Köpfchen tief gesenkt; in der Hand trug sie unbewußt den großen Hausschlüssel, ein altes Stück Arbeit, welches ihr Lys in der Zerstreuung anstatt mir zugesteckt hatte. Sie trug den Schlüssel fest umschlossen in dem dunklen Gefühle, daß Lys ihr das kalte, rostige Eisen gegeben; es war doch etwas, das von ihm kam, sonst hatte er heute nicht viel an sie gewendet. An dem Festmahle hatte sie beinahe nichts genossen, und das wenige, mit dem sie seither etwa ihre Lippen erfrischt, war von mir besorgt worden.

Als wir vor dem Hause angelangt, stand sie schweigend und rührte sich nicht, obgleich ich sie wiederholt fragte, ob ich die Glocke ziehen oder vielmehr mit dem zierlichen Meerfräulein des Türklopfers Lärm machen solle, und erst als ich den Schlüssel in ihrer Hand entdeckte, aufschloß und sie bat hineinzugehen, legte sie langsam beide Arme mir um den Hals und fing an, erst wie im Traume zu stöhnen, dann mit den Tränen zu ringen, die nicht fließen wollten. Ihr Mantel sank von den Schultern; ich wollte ihn aufhalten, umfing sie aber statt dessen brüderlich und streichelte ihr den Kopf und den Hals, denn den[540] Wangen konnte ich nicht beikommen. In der feinen Silberbrust, die an mir lag, fühlte und hörte ich die Seufzer sich heraufarbeiten und das Herz klopfen; es war wie das Murmeln eines verborgenen Quells, den man im. Walde an der Erde liegend etwa zu hören bekommt. Ihr heißer Atem strömte in mein Ohr, es wurde mir zu Mute, als ob ich ein selig trauriges Märchen, wie es in alten Liedern steht, wirklich erlebte, und ich seufzte unwillkürlich auf. Endlich konnte das ärmste Wesen zum Weinen kommen, und es begann ein bitterliches Schluchzen. Die klagenden Naturlaute, keineswegs schön, aber unendlich rührend, wie der Kummer eines Kindes, drängten und brachen sich in der feinen Kehle und in der nächsten Nähe meines Ohres. Sie warf den Kopf herum auf meine andere Schulter, und ich legte meinen Kopf in absichtsloser Bewegung auch darauf, wie um ihren Schmerz zu bestätigen. Da zerstachen ihr die Distelblätter und Stechpalmen an meiner Kappe Hals und Wange, sie fuhr zurück, erwachte und erkannte plötzlich, mit wem sie war. Hilflos stand das doppelt getäuschte Mädchen da und sah weinend zur Seite. Ich gab ihr den Mantel auf den Arm, nur um sie mit etwas zu beschäftigen, führte sie sanft zur Treppe und ging darauf hinaus, die Türe zuziehend. Alles war noch still in dem Hause, die Mutter schien fest zu schlafen, und ich hörte nur, wie Agnes stöhnend die Treppe hinaufstieg und sich wiederholt an den Stufen stieß. Endlich ging ich weg und kehrte langsam in den Festsaal zurück.

Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 4, Berlin 1958–1961, S. 518-541.
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