15. Kapitel
Wie wir uns bei allen Wünschen unseres Herzens verhalten sollen.

[108] 1. Der Herr: Mein Sohn! So sprich bei allem: »Herr! wenn dir dies gefällt, so soll es geschehen! Wenn dir dies zur Ehre gereicht, so geschehe es in deinem Namen. Wenn du siehst, daß mir dies gut und nützlich ist, so gib mir Kraft, es zu deiner Ehre zu gebrauchen! Wenn du aber siehst, daß es mir schaden und das Heil meiner Seele nicht fördern würde, so nimm das Verlangen danach aus meinem Herzen!« Denn nicht jedes Verlangen der Seele, wenn es dem Menschen auch gut und heilig zu sein scheint, kommt vom Heiligen Geiste. Es ist sehr schwer, richtig zu unterscheiden, ob dich der gute Geist oder ein fremder Geist oder dein eigener Geist treibt, dieses oder jenes zu verlangen. Viele sind am Ende betrogen worden, die anfangs von einem guten Geist gelenkt schienen.

2. So oft dir also etwas gut und verlangenswert scheint, so begehre es nie anders, als in der Furcht des Herrn, nie[108] anders, als mit Demut des Herzens, und stelle die ganze Sache, mit vollkommenster Hingebung deines Willens, dem meinigen anheim. Sprich:

»Herr! du weißt, wie es besser ist. Was und wie du willst, das und so soll es geschehen. Gib mir das, was du mir geben willst; gib mir, soviel du willst, und gib es mir zur Zeit, wann du es geben willst. Schalte und walte mit mir, wie du willst, wie es dir besser gefällt, wie es dir zur größeren Ehre gereicht. Stelle mich hin, wohin du willst, und tu mit mir in allem, frei und ungehindert, wie du willst. Ich bin in deiner Hand; wende mich hin und wider; drehe mich um und um. Sieh! Ich bin dein Knecht, bereit zu allem. Ich will nicht mir leben, sondern dir – könnte ich es doch würdig und vollkommen.«

Gebet, um den Willen Gottes zu vollbringen.

3. Der Mensch: Du, die Fülle der Gnaden, Jesus Christus, unser Herr! Sende deine Gnade herab, daß sie bis ans Ende bei mir ausdaure. Laß mich immer nur das verlangen und suchen, was dir das Angenehmste, das Liebste ist! Dein Wille sei der meine, und mein Wille folge immer nur dem deinen und sei vollkommen Eines mit ihm. Mein Wollen und mein Nichtwollen sei immer Einerlei mit dem deinen! Oh, daß ich nur das allein wollen könnte, was du willst, nur das allein nichtwollen könnte, was du nicht willst!

4. Schenke mir Geist und Kraft, allem abzusterben, was vergänglich ist; um deinetwillen gern unbekannt und mißkannt zu sein auf Erden; über alles Wünschen und Verlangen aller anderen Dinge nur in dir Ruhe zu finden, den unendlichen Hunger meines Herzens in dir allein zu sättigen! Denn du bist der wahre Friede, du allein der wahre Ruhepunkt, und außer dir ist überall Unruhe und Plage. In diesem Frieden, das ist, in dir, dem Einen höchsten, ewigen Gut, will ich ruhen, sanft ruhen ewig.[109]

Quelle:
Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7663, Stuttgart., S. 108-110.
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