16. Kapitel
Gott allein unser Trost.

[110] 1. Der Mensch: Was immer ich von wahrem, vollständigem Troste wünschen oder denken kann, das erwarte ich nicht hier in diesem Leben, sondern im kommenden. Hätte ich auch alle Tröstungen dieser Welt, alle Freuden dieses Lebens ganz allein zu genießen, so wüßte ich doch gewiß, daß dieser Genuß keinen Bestand haben könnte. Darum, liebe Seele, kannst du keinen vollständigen Trost, keine vollkommene Erquickung finden, außer in Gott allein, der die Armen tröstet und die Demütigen erquickt.

Warte noch eine Weile, meine Seele, harre auf die Erfüllung der göttlichen Verheißungen, und es wird die Fülle aller wahren Güter im Himmel dein sein. Wenn du aber den gegenwärtigen Gütern zu hitzig und mit ungeordneter Liebe nachjagst, so verlierst du die himmlischen, ewigen Güter. Was der Zeit unterworfen ist, das brauche; was ewig ist, danach strebe. Es kann dich doch kein zeitliches Gut sättigen; du bist ja nicht geschaffen, das Zeitliche zu genießen.

2. Und wenn du alle erschaffenen Güter hättest, so würdest du doch kein Glück und keine Seligkeit darin finden. Denn nur in Gott, der alle Dinge erschaffen hat, ist alle deine Seligkeit und all dein Glück zu finden. Dieses Glück und diese Seligkeit ist ganz anders, als die, welche von den törichten Freunden der Welt gekannt und hochgerühmt werden. Dieses Glück und diese Seligkeit sind eben jene, welche die edlen Freunde Christi erwarten und davon nur die reinen Seelen, die nach dem Geiste leben, hier und da einen Vorgeschmack bekommen, da ihr Wandel im Himmel ist.

Alles, was menschlicher Trost heißt, währt nicht lange und ist im Grunde eitel. Wahrer, seliger Trost ist nur der, den wir von der Wahrheit in unserm Innersten empfangen. Wer die wahre Frömmigkeit hat, der trägt seinen Tröster Jesus immer und überall mit sich umher, und spricht zu ihm:[110] Hilf mir, Herr Jesus, an jedem Orte und zu jeder Zeit! Das sei mein Trost, gern alles menschlichen Trostes entbehren zu wollen. Und wenn sich mir auch deine göttliche Tröstung entziehen sollte, so sei dein Wille und die gerechte Prüfung, die von deinem Willen kommt, mein höchster Trost. Denn du zürnst nicht immer und drohst nicht ewig.

Quelle:
Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7663, Stuttgart., S. 110-111.
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