25. Kapitel
Worin der dauerhafte Friede des Herzens und der gesegnete Fortgang in allem Guten besteht.

[125] 1. Der Herr: Mein Sohn! Ich habe einst (Joh. 14, 27) das Wort gesprochen: Ich lasse euch den Frieden zurück, ich gebe euch meinen Frieden. Nicht wie die Welt gibt, gebe ich euch. Alle wollen Frieden haben, aber das, was allein wahren Frieden schaffen kann, das wollen nicht alle. Mein Friede kehrt bei denen ein, die demütig und sanftmütig sind. Dein Friede wird in viel Geduld sein. Dein Friede ist groß, wenn du mein Wort gern hörst und treu befolgst.

Der Mensch: Was soll ich also tun?[125]

Der Herr: Sei aufmerksam auf alles, was du redest und was du tust, und richte all deine Absicht dahin, daß du mir allein gefällst und außer mir nichts verlangst, nichts suchst. Was aber andere tun oder reden, darüber erlaube dir nie ein voreiliges Urteil, und mische dich nicht in irgend ein Geschäft, das dir nicht anvertraut ist. So wird es geschehen, daß dein Herz wenig oder selten in Unruhe gerät.

2. Wenn du aber nie uneins mit dir werden, nie etwas von dem Drucke des Leibes oder Geistes erfahren willst, so verlangst du etwas, das nicht in dieser Zeit, sondern nur in dem Lande der ewigen Ruhe zu finden ist. Glaube also nicht, daß du den wahren Frieden gefunden hast, sobald dich nichts drückt und drängt, oder daß alles gut ist, wenn du mit keinem Feinde zu streiten hast, oder daß es ein sicheres Wahrzeichen der Vollkommenheit ist, wenn dir alles nach Wunsch und Neigung geht. Noch weniger halte dich für etwas Großes oder für einen besonderen Freund Gottes, wenn du die Fülle der Andacht und Wonne genießest. Denn auch diese Empfindung ist nicht die rechte Feuerprobe des wahren Tugendfreundes, nicht das Wesen des Heldenganges zu allem Guten, nicht das Wahrzeichen der Vollkommenheit.

3. Der Mensch: Worin besteht denn aber das Wesen der Tugend?

Der Herr: Darin, daß du dich von ganzem Herzen an Gott und seinen Willen hingibst und nicht suchst, was dein ist, weder im Kleinen noch im Großen, weder in der Zeit, noch in der Ewigkeit. Darin besteht das Wesen der Tugend, daß du in Leiden und Freuden ein und derselbe Mensch mit gleichem Mut und gleichem Sinn, immer gleich dankbar gegen Gott, bleiben und alles mit der Einen gerechten Waage des göttlichen Willens abwägen lernst. Wenn du soviel Stärke des Geistes und ausharrende Zuversicht besitzest, daß du in den Tagen innerer Trostlosigkeit dein Herz noch zu größeren Leiden härten und waffnen kannst und dir nicht selbst Recht sprichst, als hätte dieses und jenes so große Leiden nicht über dich kommen sollen, sondern vielmehr mich[126] in all meinen Anordnungen als gerecht und heilig lobpreisest, wenn du diese edle Fassung des Geistes hast, dann wandelst du auf der rechten und geraden Bahn des Friedens; dann magst du die feste Hoffnung behalten, daß du mein Angesicht in heiligem Entzücken bald wieder sehen wirst. Solltest du dich aber schließlich zur vollen Verachtung deiner selbst durchgekämpft haben, so sei überzeugt, daß du von dieser Zeit an all jene Fülle des Friedens genießen wirst, die der seligste Mensch in diesem Pilgerleben auf Erden genießen kann.

Quelle:
Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7663, Stuttgart., S. 125-127.
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