33. Kapitel
Von der Veränderlichkeit des Herzens und von der festen Richtung unserer Endabsicht zu Gott.

[138] 1. Der Herr: Traue, mein Sohn, deinem eigenen Herzen nicht; denn jetzt ist es so und gleich darauf wieder anders.[138] So lange du lebst, bist du, auch wider deinen Willen, der Veränderlichkeit anheimgegeben; bald freudig, bald traurig; bald stille, bald verstört; jetzt voll Andacht und gleich darauf unandächtig; jetzt fleißig, dann träge; diesmal voll Ernst, ein andermal leichtsinnig und ausgelassen. Wer aber im Geiste wohl geübt ist und die rechte Weisheit besitzt, der hat bei all dieser Veränderlichkeit seines Herzens Einen unveränderlichen Standpunkt; er heftet seinen Blick nicht auf die Empfindung, die kommt und geht, oder auf die mancherlei Seiten, von denen der Wind bald so, bald anders herweht, sondern richtet alle seine Gedanken und Absichten zu dem Einen rechten, besten Zielpunkt hin. Denn wenn das geheimste Auge seines Geistes, bei den unzähligen, einander durchkreuzenden Begebenheiten, immer zu mir und nur zu mir aufschaut, so kann er immer derselbe, sich gleich, und bei allem, was von außen erschüttert, im Inneren unerschüttert bleiben.

2. Je mehr sich nun dieses Auge, das ohne Unterlaß zu mir aufschaut, reinigt, desto fester steht der Mensch in Sturm und Ungewitter. Aber auch dies reine, helle Auge bleibt nicht immer rein und hell. Es ist bald ein Seitenblick auf etwas Reizendes, das uns ins Auge blitzt, getan. Selten findest du den Mann, der ganz frei ist von allen Fesseln, das heißt, der sich selbst nie sucht. So kamen einst die Juden zu Martha und Maria nach Bethanien, nicht bloß um Jesu willen, sondern auch um den Lazarus zu sehen. Man muß also das innerste Auge, die herrschende Absicht bei allen unseren Handlungen, reinigen, damit es einfältig und recht sehe, und man muß es über alles, was nur Mittel ist, emporrichten und zu mir, als dem letzten Zielpunkte, erheben.[139]

Quelle:
Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7663, Stuttgart., S. 138-140.
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