35. Kapitel
In diesem Leben sind wir nie vor Versuchung sicher.

[141] 1. Der Herr: Mein Sohn, in diesem Leben bist du nie vor Angriff sicher. So lange du lebst, hast du geistliche Wehr und Waffen nötig. Du wohnst unter Feinden und wirst von links und rechts bestürmt. Deckt dich also nicht der Schild der Geduld, so wirst du nicht lange ohne Wunden durchkommen. Wenn du überdies dein Herz nicht festgegründet hast im Vertrauen auf mich, wenn dein Wille nicht bereit ist,[141] alles Widrige um meinetwillen geduldig zu leiden, so wirst du den heißen Kampf nicht aushalten und die Siegespalme der Seligen nicht erstreiten können. Also, mannhaft hindurchgerungen muß es sein, durch alle Leiden, mit tapferer Hand hindurchgestritten durch alles, was sich dir widersetzt. Denn nur dem Überwinder wird das Brot des Himmels dargereicht. Und dem Trägen bleibt nichts übrig als Jammer und Not.

2. Wenn du in diesem Leben schon Ruhe haben willst, wie willst du dann im kommenden zur ewigen Ruhe gelangen können? Versprich dir in diesem Lande nicht viel Ruhe, sondern mache dich vielmehr auf große Geduld gefaßt. Suche du den wahren Frieden nicht auf Erden, sondern im Himmel, nicht bei Menschen oder anderen Geschöpfen, sondern bei Gott allein.

Aus Liebe zu Gott sollst du alles Unangenehme gern leiden: peinliche Arbeiten, Schmerzen, Versuchung, Drangsal, Beängstigung, Not, Armut, Schwachheit, Unrecht, Widerspruch, Tadel, Erniedrigung, Hohn, Zurechtweisung und Verachtung. Das alles treibt zur Tugend; das bewährt den neuen Jünger in der Kampfesschule Christi; das wirkt unsere Ehrenkrone im Himmel. Ich werde dir die kurze Arbeit mit ewiger Belohnung, und die vorübergehende Schmach mit endloser Herrlichkeit vergelten.

3. Glaubst du etwa, daß dir die himmlischen Tröstungen jetzt schon zu Gebote stehen sollten, so oft du nur willst? Meine Heiligen hatten auch nicht lauter Stunden des Trostes, sondern viele Drangsale, mancherlei Versuchungen und große Anfälle von Trostlosigkeit auszustehen. Aber in allen diesen Leiden standen sie aufrecht und geduldig da, vertrauten mehr auf Gott als auf sich, indem sie die Verheißung (Röm. 8, 18) gläubig im Herzen trugen, daß die Leiden dieser Zeit nicht verglichen werden können mit der Herrlichkeit, womit uns die Ewigkeit belohnen wird. Willst du das sogleich und ohne Kampf haben, was so viele andere durch heiße Tränen und große Mühen kaum erringen konnten? Harre auf den[142] Herrn, handle männlich, sei tapfer, fasse neuen Mut, weiche nicht von der Stelle, steh fest und gib Leib und Seele dran, zur Ehre Gottes. Ich werde dir's in vollem Maße vergelten; ich bin bei dir in aller Trübsal.

Quelle:
Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7663, Stuttgart., S. 141-143.
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