36. Kapitel
Wider die nichtigen Urteile der Menschen.

[143] 1. Der Herr: Mein Sohn, wirf dein Herz entschlossen auf den Herrn und fürchte kein menschliches Gericht dort, wo dich dein Gewissen gänzlich freispricht. Es ist gut und heilsam für dich, daß du auch in dieser Leidensschule hart mitgenommen wirst. Und wenn du die Demut des Herzens hast und mehr auf Gott als auf dich vertraust, so wird dir dies schwere Leiden nicht sonderlich beschwerlich sein.

Wo mancherlei Menschen sprechen, da muß es mancherlei Gespräche geben, und die verdienen eben deswegen nicht viel Glauben. Und außerdem ist es ganz und gar unmöglich, allen alles recht zu machen. Ist doch Paulus allen alles geworden und hätte es gern allen im Herrn recht gemacht. Und doch mußte auch Paulus (1. Kor. 4, 3) allerlei harte Urteile über sich ergehen lassen. Er bekümmerte sich aber nicht darum, daß ihn die menschlichen Gerichte verdammten.

2. Was er zur Erbauung und Errettung der Menschen tun konnte, das hat er mit aller Treue getan. Aber, daß ihn die Menschen hart richteten, ja sogar verdammten, das konnte er bei all seiner Treue nicht verhindern. Deshalb stellte er seine ganze Sache Gott anheim, der das Ganze am besten kannte. Und seine Verteidigung gegen die harten Anklagen, gegen die ungerechten Urteile und die stolzen Anmaßungen seiner Gegner bestand eigentlich doch nur in Demut und Geduld. Denn wenn er auch hier und da Antwort gab, so geschah es meistens nur um der Schwachen willen, damit sie an seinem Stillschweigen kein Ärgernis nähmen.[143]

3. Wer bist du denn, daß du dich vor einem sterblichen Menschen fürchtest? Heute ist er, und morgen findest du seine Stätte nicht mehr. Fürchte du deinen Gott, und die Menschen werden nicht mehr soviel Furchtbares für dich haben. Was kann auch ein Mensch mit all seinen Lästerworten wider dich ausrichten? Im Grunde schadet er sich mehr als dir, und wer er auch ist, dem Gerichte Gottes kann er doch nicht entgehen. Habe du stets deinen Gott vor Augen, klage nicht, und laß dich in keinen Wortkrieg ein. Wenn du auch in den Augen der Menschen unterliegen und eine unverdiente Schmach erdulden müßtest, so solltest du dich deshalb nicht entrüsten, noch die Ungeduld dir den schönsten Stein aus deiner Krone rauben lassen. Schau vielmehr zu mir auf, ich habe Macht, dich von aller Schmach und Ungerechtigkeit zu erretten, und einem jeden nach seinen Werken zu vergelten.

Quelle:
Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7663, Stuttgart., S. 143-144.
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