40. Kapitel
Der Mensch hat aus sich nichts Gutes und kann sich keines Dinges rühmen.

[147] 1. Der Mensch: Mein Herr, was ist der Mensch, daß du sein gedenkst, oder ein Menschensohn, daß du ihn besuchst?[147] Wie hat der Mensch verdient, daß du ihm deine Huld angedeihen lässest? Wie könnte ich klagen, wenn du mir deine Huld entzögest? Was dürfte ich mit Grund dagegen einwenden, wenn du meine Bitten nicht erhörtest? Wahrhaftig, dies Eine kann und darf ich in aller Wahrheit denken und sagen: Aus mir allein bin ich nichts, vermag ich nichts und habe ich nichts Gutes an mir, aus mir allein bin ich gebrechlich und ohnmächtig und strebe immer nach dem, was nichts ist. Und wenn deine Macht mich nicht unterstützt, dein Licht mich nicht im Innern erleuchtet, so werde ich lau und zuchtlos.

2. Du aber, mein Herr, du bist immer derselbe und bleibst ewig, was du bist: gut, gerecht, heilig; und gut, gerecht, heilig in allem, was du tust, und weise in allem, was du ordnest. Du immer derselbe, und ich immer anders und anders. Du immer der Heilige, und ich immer mehr geneigt zum Rückgang als zum Fortgang im Guten. Ach! ich bin das rechte Bild der Zeit, so veränderlich wie sie: siebenmal anders an Einem Tage. Doch wird es auch mit mir bald besser werden, wenn es dir gefällt und wenn du mir deine helfende Hand reichst. Denn du kannst mir ohne alle Beihilfe der Menschen helfen; du kannst mich im Guten so festmachen, daß mein Blick immer gleich bleibt und nicht da und dorthin wechselt und mein Herz zu dir allein hingewandt in dir allein seine Ruhe findet.

3. Oh, verstünd' ich doch die große Kunst, allem menschlichen Trost Abschied zu geben, um die Gabe der Andacht zu erlangen, oder weil mich die Not dazu treibt, dich zu suchen, da außer dir nichts den Hunger meines Herzens stillen kann. Dann könnte ich deine Gnade mit Recht erwarten; dann würde ich bald deine Tröstungen in neuem Maße genießen und in heiliger Entzückung dich lobpreisen können!

4. Dank dir für alles Gute, das ich zustande bringe, denn alles Gute kommt von dir! Ich bin vor dir eitel Nichts, ein Mensch, unstet und schwach. Was habe ich also für Grund und Recht, von mir selbst groß zu sprechen oder andere von[148] mir groß sprechen zu lassen? Vielleicht weil ich aus mir Nichts bin? Ein Ruhm, auf nichts gebaut, das wäre doch die eitelste Eitelkeit! Oh, die eitle Ehre, sie ist wahrhaftig die größte Nichtigkeit und eine Pestilenz; denn sie entblößt uns der wahren Glorie und raubt uns das Kleinod der himmlischen Gnade. Denn sobald der Mensch an sich selbst Wohlgefallen findet, hast du Mißfallen an ihm. Wenn er dem Lobe der Menschen nacheilt, so verliert er darüber die wahre Tugend.

5. Es gibt aber doch auch einen wahren Ruhm und eine heilige Freude. Der wahre Ruhm besteht darin, daß der Mensch nicht sich, sondern dich, seinen Herrn allein, verherrlicht; die wahre Freude besteht darin, daß der Mensch nicht an seinem Namen oder an seiner Tugend oder an irgend einem Geschöpfe, sondern an dir, und nur um deinetwillen an dem Guten, das von dir kommt, Freude hat.

Dein Name werde gelobt, nicht der meine! Dein Werk werde verherrlicht, nicht das meine! Dein heiliger Name werde gepriesen, und alles Lob, das die Menschen etwa mir beilegen, bleibe nicht bei mir. Denn du bist mein Ruhm, du bist die Jubelfreude meines Herzens. In dir will ich mich immer rühmen und mich freuen, den ganzen Tag. Wenn ich mich aber meiner rühme, so will ich mich meiner Schwachheit rühmen.

6. Mögen doch die Juden Ehre voneinander suchen (Joh. 5, 44); ich will die Ehre suchen, die von Gott allein kommt. Aller Ruhm der Menschen, alle Ehre der Zeit, alle Hoheit der Welt, verglichen mit deiner ewigen Herrlichkeit, ist doch nichts als Eitelkeit und Torheit. Oh, mein Gott, du bist meine Wahrheit! du meine Liebe, voll Erbarmen und Seligkeit! Selige Dreifaltigkeit! Dein sei alles Lob und alle Ehre und aller Ruhm, und alle Herrlichkeit und alle Kraft, und sei ewig, ewig dein. Amen![149]

Quelle:
Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7663, Stuttgart., S. 147-150.
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