41. Kapitel
Von Verschmähung aller zeitlichen Ehre.

[150] 1. Der Herr: Mein Sohn, laß es dir nicht so nahe an das Herz kommen, wenn du siehst, daß man andere ehrt und erhöht, dich aber verachtet und erniedrigt. Erhebe du dein Herz zu mir in den Himmel, und es wird dich nicht sonderlich betrüben, daß dich die Menschen drunten auf der Erde verachten.

Der Mensch: Mein Herr, es ist, als wenn wir mit Blindheit geschlagen wären; schnell verführt uns Eitelkeit und Trug. Wenn ich mich genau durchforsche, so hat mir doch kein Geschöpf im eigentlichen Sinne unrecht getan; darum darf ich meinen Mund vor dir nicht rechtmäßig auftun und wider dich klagen.

2. Weil ich so viele und so schwere Sünden gegen dich begangen habe, habe ich es ja verdient, daß sich alle Geschöpfe wider mich wappnen. Mir gebührt nach aller Gerechtigkeit nichts als Schmach und Hohn; dir gebührt Lob, Ehre und Ruhm. Und wenn ich mein Herz nicht dazu bringen kann, daß es gern und ohne inneren Widerstreit von allen Geschöpfen verachtet, verlassen und für nichts gehalten werden will, so kann ich im Inneren nie befestigt und beruhigt, im Geiste nie erleuchtet, mit dir nie vollkommen vereinigt werden.

Quelle:
Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7663, Stuttgart., S. 150.
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