56. Kapitel
Wir sollen uns selbst verleugnen und Christus durch das Kreuz nachfolgen.

[181] 1. Der Herr: Lieber Sohn! So weit du von dir zu scheiden vermagst, so weit kannst du in mich eingehen. Los von dir, eins mit mir. Nichts außer dir verlangen, das macht dich eins mit dir; dich selbst ganz verlassen, das macht dich eins mit Gott. Ich will es so: du mußt endlich die vollkommene Verleugnung deines Willens erlernen und meinen Willen ohne Widerspruch und Klage vollbringen. So folge denn mir nach.

Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Ohne Weg kein Gehen, ohne Wahrheit kein Erkennen, ohne Leben kein[181] Leben. Ich bin der Weg, den du gehen, die Wahrheit, an die du glauben, das Leben, auf das du dein ganzes Hoffen richten mußt. Ich bin der Weg ohne Fehl, die Wahrheit ohne Trug, das Leben ohne Ende. Ich bin der geradeste Weg, die höchste Wahrheit, das wahre, selige, unerschaffene Leben. Wenn du auf meinem Wege beharrst, so wirst du die Wahrheit erkennen, die Wahrheit wird dich frei machen und du wirst das ewige Leben erfassen.

2. Willst du zum Leben eingehen, so halte die Gebote. Willst du die Wahrheit erkennen, so glaube mir. Willst du vollkommen sein, so verkaufe alles. Willst du mein Jünger sein, so verleugne dich selbst. Willst du das ewige Leben in Besitz nehmen, so verachte das gegenwärtige. Willst du im Himmel erhöht werden, so erniedrige dich auf Erden. Willst du mit mir regieren, so trage mit mir das Kreuz. Denn nur die Diener des Kreuzes finden den Weg zur Seligkeit und zum wahren Lichte.

3. Der Mensch: Lieber Herr Jesus Christus, voll Leiden war dein Leben und die Welt verachtete dich und dein Leben. Lehre mich, die Welt verachten und deinem Leben nachleben. Denn der Knecht ist nicht mehr als sein Herr und der Jünger nicht mehr als sein Meister. Mein ganzes Leben sei nichts als eine Übung nach dem Muster deines Lebens; denn darin finde ich Heil und Heiligung. Was ich außer deinem Leben lese oder höre, ist keine rechte Weide für mein Herz und keine volle Freude.

4. Der Herr: Lieber Sohn! Gelesen und verstanden hast du nun alles, was ich gelehrt habe. Wenn du nun auch tust, was du erkennst, dann bist du selig. Wer meine Gebote hat und sie hält, der hat mich lieb, und den werde ich auch lieb haben und mich ihm offenbaren und ihn im Reiche meines Vaters mit mir auf dem Throne sitzen lassen.

5. Der Mensch: Herr Jesus! Was du lehrst und verheißest, das soll auch an mir wahr, das soll auch an mir erfüllt werden. Mache du mich tüchtig dazu. Angenommen, angenommen habe ich das Kreuz aus deiner Hand; ich will es nun[182] auch tragen bis zum Tode, wie du es auf meine Schulter gelegt hast. Wahrhaftig, das Leben eines frommen Ordensmannes ist ein rechtes Leben am Kreuz, aber es führt deswegen sicher in das Paradies. Ich habe nun den Weg betreten, ich habe angefangen: zurückgehen darf ich nicht mehr und aufhören auch nicht.

6. Wohlan, Brüder! schließt euch an mich, wir wollen Hand in Hand miteinander gehen. Jesus wird in unserer Mitte sein. Um Jesu willen haben wir das Kreuz auf unsere Schultern genommen; um Jesu willen wollen wir es auch tragen bis ans Ende. Der unser Führer ist und uns vorangeht, der wird auch unser Helfer sein. Seht! unser König geht vor uns her; er wird auch für uns streiten. Laßt uns als Männer ihm nachgehen. Kein Schrecken schrecke uns zurück! Das sei unser Entschluß: den Tod der Ehre im Kriege zu sterben. Die Schande, daß wir von der Fahne des Kreuzes fliehen, wollen wir unserer Ehre nicht antun.

Quelle:
Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7663, Stuttgart., S. 181-183.
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