57. Kapitel
Werde nicht mutlos, wenn du mancherlei Fehltritte tust.

[183] 1. Der Herr: Mein Sohn, Geduld und Demut in trüben Stunden gefallen mir weit mehr als alle Trostes- und Andachts-Fülle im Glück. Was betrübt dich denn ein hartes Wort, das man wider dich fallen ließ? Wenn es auch mehr gewesen wäre, so hätte es dich nicht beunruhigen sollen. Aber nun, laß es vorbei sein. Dies ist nicht das Erste und gar nichts Neues und wird auch nicht das Letzte sein in deinem Leben, was man wider dich ausstreut.

Du bist wohl Manns genug, so lange dir nichts Widriges begegnet; du weißt auch andern klug zu raten und ihnen Mut einzureden. Aber wenn plötzlich eine Drangsal dir selbst vor die Tür kommt, da ist dein ganzer Vorrat an Klugheit und Mut zu Ende. Lerne doch einmal deine große Gebrechlichkeit[183] kennen, die du öfter bei unbedeutenden Vorfällen deutlich genug beweist. Indessen dienen alle Dinge deinem Besten, also auch diese oder ähnliche Proben deiner Gebrechlichkeit.

2. Schlag du dir dies alles, so gut du kannst, aus Sinn und Herz. Und wenn dir auch etwas zu nahe geht, so laß es dich wenigstens nicht gleich daniederwerfen und verstricke dich nicht selbst immer tiefer in Verwirrung. Bist du nicht imstande, im Leiden froh zu sein, so lerne wenigstens geduldig tragen. Und wenn du die harten Urteile anderer über dich nicht gern hörst, und wenn du Widerwillen verspürst, so leiste doch Widerstand und laß kein Wort aus deinem Munde kommen, das die Unordnung deines Herzens offenbart und die schwachen Brüder ärgert. Der innere Aufruhr wird bald wieder gestillt und der Schmerz in Freude verwandelt sein, wenn die Gnade wiederkommt. Ich lebe noch (spricht der Herr), und bin bereit dir zu helfen und dich mehr als sonst zu trösten, wenn du nur auf mich vertraust und mit vertrauendem Herzen zu mir um Hilfe rufst.

3. Behalte Gleichmut und gürte dich mit Geduld zu größeren Leiden. Es ist nicht gleich alles verloren, wenn dich noch so viele Leiden, noch so schwere Versuchungen in die Enge treiben. Mensch bist du, kein Gott; Fleisch und Blut, kein Engel. Wie wolltest du dich auch immer in demselben Stande der Tugend halten, da es die Engel im Himmel und der erste Mensch im Paradiese nicht vermochten? Ich bin's, der die Niedergeschlagenen aufrichtet mit Freundlichkeit; ich bin's, der die Schwachen, die ihr Unvermögen fühlen, in mein göttliches Kraft-Reich emporhebt.

4. Der Mensch: Mein Herr, wie dank ich dir für dies dein Wort! Süßer als Honig ist es meiner Seele. Was würde in meinen so großen Drangsalen und Ängsten aus mir werden, wenn du mich nicht mit deinem heiligen Worte stärktest? Wenn ich einst nur im Hafen des Heils lande! Was kümmert es mich dann, was und wie viel ich werde ausgestanden haben. Verleih mir ein gutes Ende, einen glücklichen Ausgang[184] aus dieser Welt! Gedenk meiner, mein Gott, und leite mich auf der rechten Bahn in dein Reich. Amen!

Quelle:
Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7663, Stuttgart., S. 183-185.
Lizenz:
Kategorien: