8. Kapitel
Nochmal und immer dasselbe: Sei gering in deinen Augen und vor deinem Gott!

[97] 1. Der Mensch: Ich will zu meinem Herrn sprechen, ob ich gleich Staub und Asche bin. Hielte ich mich für mehr, sieh! Herr, du stündest auf wider mich, und meine Sünden bezeugten die Wahrheit, und ich könnte nicht widersprechen. Sobald ich mich aber gering und wie nichts achte, sobald ich[97] alle eitle Schätzung meiner selbst aufgebe und mich zu Staub erniedrige, wie ich ja Staub bin, dann eilt mir deine Gnade gütig entgegen, und dein Licht naht sich meinem Herzen. Und wenn ich mich in diesem neuen Lichte betrachte, dann ist alle eitle Wertschätzung meiner selbst, sie sei noch so geheim und leise, in der Tiefe meines Nichts versunken und für alle Ewigkeit dahin. In diesem Lichte zeigst du mich mir, was ich bin und was ich war, woher ich kam und wohin ich mich verirrte. Da zeigst du mir's recht hell, daß ich nichts bin und nichts weiß. Werde ich mir selbst überlassen, sieh! so bin ich nichts, nichts als Gebrechlichkeit und Schwachheit. Aber, wenn du mich wieder anblickst, so strömt mit deinem Blicke sofort neue Kraft in meine Seele, neue Freude in mein Herz. Wahrhaftig, ein großes Wunder! So schnell hebst du mich zu dir empor; so zärtlich umarmst du mich wieder, mich, den seine eigene Schwere stets abwärts in die Tiefe zieht.

2. Das ist das Werk deiner Liebe, die ohne all mein Verdienst meinen Bedürfnissen zuvorkommt, die mich in so mancherlei Nöten unterstützt, die mich vor schrecklichen Gefahren bewahrt und, um die ganze Wahrheit zu sagen, von unzähligem Jammer erlöst. Denn dadurch, daß ich mich töricht liebe, hab ich mich selbst verloren; da ich aber dich allein suche, und dich allein um deinetwillen liebe, hab ich mich und dich miteinander gefunden und mich, aus Liebe zu dir, noch tiefer in mein Nichts versenkt. Denn du, die Liebe selbst, handelst mit mir über all mein Verdienst und gibst mir weit mehr, als ich mir zu hoffen oder zu bitten getraue.

3. Gelobt seist du, mein Gott, denn ob ich gleich alles Guten unwert bin, so kann doch deine edle und unbegrenzte Güte nimmer aufhören, wohlzutun auch den Undankbaren, auch denen, die sich von dir weit entfernt haben. Bekehre du uns zu dir, damit wir dankbar, demütig und andächtig werden, denn du bist unser Heil, du unsre Kraft und unsre Stärke.[98]

Quelle:
Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7663, Stuttgart., S. 97-99.
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