10. Kapitel
Unterlaß den Zugang zum Tische des Herrn nicht leichthin!

[211] 1. Der Herr: Zu mir, zur Quelle der Gnade und göttlichen Erbarmung, zur Quelle der Milde und Reinheit, mußt du oft wiederkehren, damit du von deinen Leidenschaften und Sünden geheilt, wider alle Versuchungen und List des Teufels immer bewaffnet und zur Wachsamkeit gestärkt wirst. Der Feind weiß wohl, welche Frucht und heilsame Kraft in der heiligen Kommunion liegt; darum sucht er auf alle Weise und bei allen Anlässen die frommen und treuen Christen vom Tische des Herrn fernzuhalten oder am Zugange zu hindern.

2. Manche haben, wenn sie sich zur heiligen Kommunion mit größerem Eifer vorbereiten wollen, wider listigere Eingebungen des Satans zu kämpfen. Da mischt sich auch in dem Sinne, wie es bei Hiob heißt, der Satan unter die Kinder[211] Gottes, damit er sie mit seinen listigen Anschlägen zuerst in Schrecken und dann in anhaltende Furcht und Verwirrung setze. Er weiß ihnen den Glauben durch scheinbare Gegengründe aus dem Herzen zu stehlen oder ihre Liebe zu schwächen, daß sie entweder gar nicht oder nur kalt und gefühllos zum Tische des Herrn gehen. Aber der weise Christ weiß auch, daß man die listigen Anschläge und Eingebungen des Feindes, sie mögen so schändlich oder schreckhaft sein, wie sie wollen, für nichts zu achten hat, sondern alle seine Vorspiegelungen auf ihn selbst zurückweisen muß. Wahrhaftig, verachten, ja verlachen muß man den Elenden, und all seine Anfälle und Regungen sollen es nie dahin bringen, daß man um ihretwillen die heilige Kommunion unterläßt.

3. Andere hindern sich selbst durch die übertriebene Sorge um Andacht und Eifer oder durch das ängstliche Bemühen, ihr Sündenbekenntnis genau zu machen. Dann handle nach dem Rate der Weisen und lerne all das kleinliche, ängstliche Wesen aus dem Herzen schaffen. Denn es hemmt den Einfluß der Gnade Gottes in dein Herz und den Aufschwung deines Herzens zu Gott.

Laß doch irgendeine geringe Verwirrung oder Beklemmung des Herzens nie so viel bei dir gelten, daß du deshalb die Kommunion unterläßt, sondern geh lieber zu deinem Seelenführer und öffne ihm dein Herz und beichte; verzeih allen, die dich beleidigt haben, von ganzem Herzen, und wenn du jemanden beleidigt hast, so bitte in Demut um Verzeihung, und Gott wird auch dir gern verzeihen.

4. Was nützt es dir denn, daß du die Beichte oder die heilige Kommunion von einem Tage zum anderen verschiebst? Behalt das Gift nicht länger bei dir, wirf es sogleich von dir und nimm eilig die stärkende Arznei ein, und du wirst dich besser befinden, als wenn du es noch länger verschoben hättest. Wenn dicht heute dies Hindernis vom Tische des Herrn entfernt, so kann dich morgen ein anderes, noch größeres, entfernen, und so kannst du lange gehindert und immer untüchtiger zum Genuß der himmlischen Speise werden.[212]

Mach dich doch, sobald du kannst, von den Banden der Trägheit los; denn es taugt nichts, so lange Angst und Verwirrung mit sich umherzutragen und jeden Tag eine neue Scheidewand zwischen sich und dem Göttlichen aufzuführen. Ja, es schadet vielmehr, dies anhaltende Hinausschieben der Kommunion; denn es erzeugt eine gefahrvolle Gleichgültigkeit in allem Guten. Arme Menschen! Weil sie so zerstreut und liederlich dahinleben, so zögern sie mit ihrem Sündenbekenntnis von Tag zu Tag und wünschen sogar, die Kommunion zu verschieben, bloß um sich nicht wieder sammeln und strenger bewachen zu müssen.

5. Ach, wen die geringste Ursache vom Tische des Herrn entfernen kann, der gibt deutlich genug zu verstehen, daß seine Liebe überaus schwächlich und seine Andacht kraftlos ist. Wie selig und gottgefällig ist dagegen der, welcher so lebt, sein Gewissen so rein bewahrt, daß er alle Tage zum Tische des Herrn hingehen will und kann, wenn er es nur dürfte und ohne Aufsehen tun könnte. Wenn jemand aus innigem Gefühl der Demut oder aus einer andern gültigen Ursache hie und da die Kommunion unterläßt, so muß man ihn loben wegen seiner Ehrfurcht. Wenn sich aber Trägheit und Kälte in dein Herz schleichen, so mußt du dich selbst zusammennehmen, dich selbst ermannen und tun was du kannst. Der Herr wird alsdann deinem Verlangen schon zu Hilfe kommen; denn auf den guten Willen, wo immer er sich regt, hat der Herr ein besonderes Augenmerk.

6. Ist der gute Christ wirklich gehindert, so behält er doch den guten Willen und die fromme Absicht, zum Tische des Herrn zu gehen, und dieser gute Wille wird die Kraft des Sakramentes an sich erfahren. Denn wer die wahre Andacht in seinem Innersten hat, kann alle Tage, kann jede Stunde des Tages zur geistlichen Kommunion Christi heilsam und ohne Hindernis hintreten. Desungeachtet soll er aber auch zu bestimmten Tagen und zur festgesetzten Zeit den Leib seines Erlösers mit allen Empfindungen der Liebe und Ehrfurcht im Sakrament empfangen wollen und mehr Gottes[213] Lob und Ehre als die Erquickung seines Innersten dabei zum Ziele haben. So oft wir das große Geheimnis der Menschwerdung und das Leiden Christi andächtig betrachten und in Liebe gegen ihn entzündet werden, so oft gehen wir auf eine geistige, mystische Weise zur Kommunion und werden unsichtbar gestärkt.

7. Wer sich nur so auf einen nahen Festtag hin oder bloß nach dem Zwange der Gewohnheit, des Herkommens, zur Kommunion vorbereitet, der wird gar oft unvorbereitet sein. Selig, wer sich dem Herrn als Opfergabe darbringt, so oft er Messe liest oder zur Kommunion geht! Was das Messelesen insbesondere betrifft, so lies nicht zu geschwind und nicht zu langsam, sondern beachte die allgemeine Weise, wie es die Besseren in deinem Kreise zu tun pflegen. Anderen darfst du keinen Überdruß und Ekel schaffen. Wandle lieber auf dem allgemeinen Pfade, den unsere Vorfahren uns weisen, und sieh auch in dieser Sache mehr auf den Nutzen anderer als auf deine eigene Andacht oder Neigung.

Quelle:
Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7663, Stuttgart., S. 211-214.
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