2. Kapitel
Gottes große Güte und Liebe wird dem Menschen in diesem Sakrament erwiesen.

[196] 1. Der Mensch: Im Vertrauen auf deine Liebe und große Barmherzigkeit, Herr, gehe ich hin zu dir, ein Kranker zu seinem Heiland, ein Durstiger zur Quelle des Lebens, ein Dürftiger zum König des Himmels, ein Knecht zu seinem Herrn, ein Geschöpf zu seinem Schöpfer, ein Trostloser zu seinem freundlichen Tröster. Aber wie wird mir das, daß du zu mir kommst? Wer bin ich, daß du dich selbst mir hingibst? Ich, ein Sünder, wie darf ich es wagen, vor dir zu erscheinen, und du, der Heilige, wie kannst du so gütig sein, zu einem Sünder zu kommen? Du kennst doch deinen Knecht und weißt, daß er nichts Gutes in sich hat, das ihn einer solchen Gabe würdig machte.[196]

Wahrhaftig, ich gestehe meine Nichtswürdigkeit, ich erkenne deine Gütigkeit, ich preise deine Vaterhuld, ich danke deiner Liebe, die keine Grenze hat. Denn das, was du hierin und in allem zu meinem Besten tust, das tust du nicht um meiner Verdienste, sondern bloß um deiner Liebe wegen, das tust du mir, um deine Gnade noch herrlicher an mir zu beweisen und mir selbst noch mehr Liebe und mehr Demut in das Herz zu legen. Weil dir dies nun wohlgefällt, weil es sogar deinem Gebote gemäß ist, so kann ich nicht anders: was du gebietest, das muß auch mir gefallen, vor allem deine Herablassung. Ach, daß nur meine Sünde nicht im Wege stünde!

2. O du, die Liebe und die Lieblichkeit selbst, Jesus! Welche Verehrung, Dank und ständige Lobpreisung bin ich dir schuldig, dafür, daß du mich mit deinem heiligsten Leibe speisest, dessen unbegreifliche Würde zu begreifen kein Menschenverstand fähig ist. Was werde ich aber bei dieser Kommunion, beim Hingehen zu meinem Herrn, den ich nicht nach Würde verehren kann und doch mit voller Andacht empfangen möchte, Besseres und Nützlicheres tun können, als mich ganz vor dir erniedrigen und deine grenzenlose Liebe über mich zu erheben? Das will ich tun, mein Gott! Wie nichts fühle ich mich vor dir und unterwerfe mich dir bis in den Abgrund meines Nichts; ich lobe dich und will dich ewig loben, mein Gott, ewig deinen Namen über alle Namen erhöhen.

3. Du bist der Heiligste unter den Heiligen und ich der Sündigste unter den Sündern. Du neigst dich zu mir, und ich bin nicht wert, zu dir aufzuschauen. Du kommst zu mir, du willst bei mir sein, du lädst mich selbst zu deinem Gastmahl ein. Du willst mir die Speise des Himmels, das Brot der Engel zu essen geben, kein anderes Brot, als dich selbst, das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist und der Welt das Leben gibt.

4. Sieh, woher die Liebe kommt und wie herrlich die Liebe hervorleuchtet! Wie werde ich dir dafür genug danken, genug[197] dich lobpreisen können? Wie hast du mir doch nichts als lauter Heil und Segen zugedacht, da du dieses Gastmahl einsetztest! Wie lieblich und süß ist das Mahl der Liebe, indem du dich selbst zur Speise gibst! Wie wundervoll ist dein Werk, wie allvermögend deine Macht, wie unerschütterlich deine Wahrheit! Denn du sprachst, und es ward alles, was du werden hießest; du sprachst, und es ward auch dieses, wie du es werden hießest.

5. Wahrhaftig, es ist etwas Wundervolles und – bei aller Unbegreiflichkeit für den menschlichen Verstand – Glaubwürdiges, daß du, mein Herr und Gott, wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch, unter den geringen Gestalten des Brotes und Weines unversehrt zugegen bist und, obwohl dich der Mensch genießt, unverzehrt bleibst. Du, dem alles zu Gebote steht, der keines Dinges bedarf, du wolltest durch dies dein Sakrament in uns wohnen. Bewahre du mir Leib und Seele unbefleckt, damit ich mit frohem und reinem Gewissen öfters deine Geheimnisse würdig feiern und, was du zu deiner Ehre und zum immerwährenden Denkmale der Liebe gestiftet und eingesetzt hast, zu meinem ewigen Heile empfangen kann.

6. So freue dich denn, meine Seele, und danke Gott für diese so edle Gabe und für den erquickenden Trost, den er uns in diesem Tale der Tränen zurückgelassen hat. Denn so oft du dieses Geheimnis begehst und den Leib Christi genießest, so oft nimmst du Anteil an allen Verdiensten Christi, Anteil an dem großen Werke der Erlösung. Denn die Liebe Christi ist ein unerschöpfliches Gut, und seine vollgültige Versöhnung ist ebenso unerschöpflich. Deshalb mußt du dich jedesmal mit erneuertem Sinn und Herzen vorbereiten und das große Geheimnis des Heils aufmerksam betrachten. Und wenn du Messe liest oder hörst, so soll dir diese Handlung so wichtig, neu und erfreuend sein, als wenn Christus erst im Leibe der heiligen Jungfrau menschliche Gestalt annähme oder am Kreuze hängend für das Heil der Menschen litte und stürbe.[198]

Quelle:
Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7663, Stuttgart., S. 196-199.
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