8. Kapitel
Christus opferte sich am Kreuze: verleugne du dich selbst!

[208] 1. Der Herr: Wie ich mich am Kreuze mit ausgestreckten Armen und mit entblößtem Leibe für deine Sünden Gott, dem Vater, freiwillig geopfert, wie ich mich ganz geopfert habe, so, daß an mir und in mir nichts übrig blieb, was nicht ein Sühnopfer der Gerechtigkeit ward, so sollst auch du dich selbst und dich ganz, mit allen deinen Kräften und Neigungen, sollst dich freiwillig, und mit innigster Andacht, täglich, in der Messe mir opfern. Was sollt' ich denn von dir anderes fordern, als daß du dich ganz an mich ergibst? Alles, was du mir sonst geben magst, dich ausgenommen, das ist in meinen Augen nichts; denn ich will nicht deine Gabe haben, sondern dich.

2. So wie du kein Genüge daran finden könntest, wenn du alle übrigen Dinge hättest und mich allein nicht hättest, so kann ich kein Wohlgefallen daran haben, wenn du mir alle übrigen Dinge gibst und dich allein nicht gibst. Opfere dich mir, und gib dich ganz für Gott, und dein Opfer wird angenehm sein. Sieh! Ich habe mich ganz, für dich, dem Vater geopfert; ich habe ganz meinen Leib und mein Blut zum Tranke und zur Speise dahingegeben, damit wir ganz Eines, ich dein und du mein, werden und bleiben können. Willst du aber immer nur an dir hangen bleiben und nie dich selbst nach meinem Willen opfern, so wird dein Opfer nicht vollständig[208] und unsere Vereinigung kann nicht innig und ganz werden. Wenn du also Gnade und Freiheit erlangen willst, so mußt du bei allen Werken dich selbst vorher in die Hände Gottes aufopfern. Denn deshalb findet man so wenig Menschen, welche die wahre Freiheit und das rechte Licht haben, weil es so wenig Menschen gibt, die sich ganz verleugnen und opfern. Mein Wort (Luk. 14, 33), das ich einst ausgesprochen habe, bleibt noch immer in seiner ganzen Kraft: Wer nicht allen Dingen absagt, der kann mein Jünger nicht sein. Wenn du also mein Jünger werden willst, so gib dich ganz, mit allen deinen Neigungen, mir zum Opfer hin.

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Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7663, Stuttgart., S. 208-209.
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