3. Kapitel
Sei gut und trachte nach Frieden.

[60] 1. Bewahre du zuerst Frieden und Ordnung in dir selbst, dann kannst du auch Frieden und Ordnung in anderen herstellen. Ein Mensch, der den Frieden in sich hat, nützt mehr als einer, der eine ausgebreitete Gelehrsamkeit besitzt. Ein Mensch, der von heftigen Leidenschaften hin- und hergestoßen wird, deutet und lenkt auch das Gute zum Bösen und glaubt lieber Böses als Gutes. Wer aber den Frieden liebt, der leitet alles zum Besten. Wer mit sich selbst im Frieden lebt, denkt von keinem Arges. Wer aber mit sich selbst in Unfrieden und Krieg lebt, den treibt bald dieser, bald jener arge Wahn hin und her. Er hat keine Ruhe und läßt auch anderen keine. Er sagt oft, was er nicht hätte sagen, und tut nicht, was er zu seinem eignen Vorteile hätte tun sollen. Er sieht nur immer auf das, was andere tun sollten, und versäumt dabei, was er hätte tun sollen. Laß du also deinen Eifer zuerst bei dir selbst anfangen, und dann mag er sich mit allem Recht auch auf deinen Nachbarn ausbreiten.

2. Deine Handlungen kannst du alle schönfärbend entschuldigen und im milden Lichte erscheinen lassen, aber fremde Entschuldigungen willst du nicht gelten lassen. Und[60] doch wäre es gerechter, dich lieber selbst zu beschuldigen und deinen Bruder zu entschuldigen.

Wenn du willst, daß dich andere tragen sollen, so trag du sie zuerst. Sieh doch, wie fern du noch bist von der wahren Liebe und Demut, die über keinen Menschen zornig oder unwillig werden kann, als nur über sich selbst.

Mit guten, sanften Menschen im Frieden leben, das ist nichts Großes; denn das ist uns allen von Natur aus angenehm. Hat es doch jedermann gern, wenn er unangefochten durchkommt, und jeder liebt die, welche es mit ihm halten, mehr als andere. Aber mit harten und verkehrten oder zuchtlosen Menschen, oder mit solchen, die uns widersprechen, friedsam leben können, das ist eine große Gnade, das ist lobenswert, das ist männlich und edel.

3. Es gibt allerdings Menschen, die dauerhaften Frieden mit sich haben und auch mit anderen in Frieden leben. Es gibt aber auch Menschen, die weder in sich Frieden haben, noch andere in Frieden leben lassen. Sie sind anderen lästig, aber sich selbst noch mehr. Endlich gibt es auch Menschen, die sich im Frieden zu erhalten wissen und außer sich den Frieden herzustellen trachten. Doch all unser Frieden, den wir in diesem elenden Leben erkämpfen, ist im Grunde doch mehr ein demütiges Tragen des Unangenehmen als ein Nichtempfinden des Widrigen zu nennen.

Wer sich am besten auf das Leiden versteht, der kann am meisten Frieden haben. Er ist ein sieghafter Überwinder seiner selbst, ist Herr über die Welt, ist Christi Freund und des Himmels Erbe.

Quelle:
Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7663, Stuttgart., S. 60-61.
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