8. Kapitel
Von dem vertrauten Umgange mit unserem Herrn Jesus Christus.

[67] 1. Ist Jesus bei dir daheim, so ist alles gut und alles leicht. Ist aber Jesus nicht bei dir, so ist alles bitter und hart. Wenn dir Jesus drinnen nicht spricht, so ist alle andere Tröstung kraftlos. Aber ein einziges Wort aus seinem Munde bringt großen Trost in dein Herz. Ist nicht Maria sogleich von der Stelle, wo sie weinte, aufgestanden, als ihr Martha sagte: Der Meister ist da und ruft dich? (Joh. 11, 28). Selige Stunde, wenn Jesus ruft von Tränen weg zur Freude des Geistes!

O Mensch! wie ist doch in dir alles so dürr und kalt ohne Jesus! Wie bist du doch so eitel und töricht, wenn du etwas außer ihm suchst! Ach! ihn nicht haben, das ist ein größerer Verlust, als die ganze Welt verloren haben.

2. Was kann dir denn die ganze Welt geben, ohne Jesus? Ohne Jesus sein, das ist eine ganze Hölle von Angst. Bei Jesus sein, das ist ein Paradies voll lieblicher Früchte. Ist Jesus bei dir, so kann dir kein Feind schaden. Wer ihn findet, der hat einen köstlichen Schatz gefunden, ein Gut, besser als jedes Gut. Wer aber Jesus verliert, der hat zu viel verloren, und mehr als die ganze Welt. Wer ohne Jesus lebt, der ist von allen Armen der Ärmste. Wer mit Jesus wohl daran ist, der ist von allen Reichen der Reichste.

3. Es ist eine große Kunst, mit Jesus umgehen zu können. Es ist eine große Weisheit, Jesus bei sich zu behalten wissen. Sei demütig und friedsam, und Jesus ist bei dir. Sei fromm und stille, und Jesus bleibt bei dir. Du kannst Jesus schnell[67] von dir vertreiben und seine Gnade verlieren: du darfst dich nur nach auswärts neigen. Und, wenn du ihn vertrieben, ihn verloren hast, zu wem wirst du deine Zuflucht nehmen, wo wirst du wieder einen Freund finden? Ohne Freund kann dir nicht wohl sein, und wenn Jesus nicht dein erster Freund ist, so wirst du immer nur überaus traurig und wie verlassen sein. Du handelst also töricht, wenn du auf einen anderen baust oder in einem anderen Freude suchst. Man soll lieber die ganze Welt zum Feinde haben, als Jesus kränken. Von allen deinen lieben Freunden soll dir also Jesus dein liebster Freund sein.

4. Du sollst alle Menschen um Jesu willen lieb haben, Jesus aber um seiner selbst willen. Christus ist vor allen anderen Freunden allein gut und treu gefunden worden; er ist es also vor allen anderen wert, geliebt zu sein. Um seinetwillen und in ihm sollen dir alle, Freunde wie Feinde, lieb sein. Für alle sollst du zu ihm bitten, daß alle ihn erkennen und lieb haben.

Laß dich nie danach gelüsten, daß du allein geliebt und gelobt wirst. Denn das gehört allein Gott zu, der seinesgleichen nicht hat. Auch sollst du nie die erste Stelle in eines Menschen Herzen einnehmen wollen, noch einen anderen Menschen diese Stelle in deinem Herzen einnehmen lassen. Jesus nehme diese Stelle ein in dir und in jedem guten Menschen!

5. Sei rein und frei von innen her, und laß dich von keinem Geschöpf gefangen nehmen. Du mußt bloß von allem sein und dein Herz rein vor Gott bringen, wenn du offen sein und inne werden willst, wie freundlich der Herr ist. Und dazu kommst du nicht, wenn dich seine Gnade nicht zuvor ruft und einwärts zieht, daß du von allen Dingen Abschied nehmen und geschieden von allen dich einzig mit dem Einzigen vereinigen kannst. Denn kommt die Gnade Gottes in den Menschen, so vermag er alles; scheidet sie aber von ihm, so ist er wieder der arme, schwache Mensch wie vorher und taugt fast zu nichts, als seinen Rücken den Geißelhieben[68] hinzuhalten. Das muß dich aber nicht mutlos machen, noch viel weniger zur Verzweiflung bringen. Lerne vielmehr mit gleichem Mute festzustehen, bereit zu allem, was Gottes Wille ordnet, und alles, was über dich kommt, zur Ehre Jesu Christi zu tragen. Denn sieh! nach dem Winter kommt wieder der schöne Frühling, nach der Nacht der liebliche Morgen, und nach dem Sturmregen der heitere Himmel.

Quelle:
Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7663, Stuttgart., S. 67-69.
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