21.
21. [Seht ihr dort den alten Bau von Stein]

[69] Seht ihr dort den alten Bau von Stein,

Totenstille ist's in ihm und leer,

Die Gemächer sind gerissen ein,[69]

Und die Eulen flattern drin umher.

Einer einst bewohnte dieses Haus,

Um ihn lebend schon des Hades Nacht,

Hier kein Freund ging freudig ein und aus,

Hier ward nie geweint und nie gelacht.

Hier schloß Liebe niemals einen Bund,

Hier war keine Mutter, war kein Kind,

Nur ein mürr'scher Diener und ein Hund

Waren hier des Herren Hausgesind'.

Wer der war, will ich sagen euch:

Ha! ein Wuchrer, sein sich Gott erbarm'!

In der Eisentruh' an Golde reich,

In dem Herzen doch an Liebe arm.

Kam ein Bettler, klopfend an das Haus,

Goß sich oft auf ihn ein Tintenfaß,

Oder stürzte wild der Hund heraus,

Daß der Arme fortfloh leichenblaß.

Mancher trug noch seine letzte Kraft,

Hoffend Zinse, in dies finstre Haus,

Doch was froh nach oben ward gebracht,

Kam nach unten nimmerfroh heraus.

Fest im Lehnstuhl saß er wie im Bann,

Bleich, einäugig, zählend, wägend Gold,

Horchte man, selbst in der Nacht hat's dann

Oft getönt, wie wenn man Taler rollt.

Als er so einst oben saß allein,

Rechnend noch in mitternächt'ger Stund',

Trat zur Türe ein Gerippe ein,

Legt die Hand ihm kalt auf Herz und Mund.

Schreien wollt' er, konnt' es nimmermehr,

's war der Tod – doch schreiben noch mit Not:

»Hab' versteckt was in« – schrieb zitternd er

Und sank drauf in seinen Lehnstuhl tot.

Offen blickt sein Auge, hat geblickt,

Als wenn's hier noch wollte suchen was,

Niemand hat es liebend zugedrückt,

Und so morgens noch im Stuhl er saß.

Niemand gab zum Grab ihm das Geleit,

Nur der mürr'sche Diener und der Hund;

Wer es sah, dem kam kein Herzeleid,

Kalt sie senkten ihn in Grabesgrund.

All sein Gut nahm das Gericht zur Hand,

Ließ auch suchen, ob was sei versteckt,[70]

Denn von einem großen Diamant

Sprach man laut, doch wurde nichts entdeckt.

Niemand wollt' bewohnen dieses Haus,

Drum zu einer Scheuer ward's gemacht,

Und der Lehnstuhl wurde als ein Graus,

Wo er noch steht, unters Dach gebracht.

Oft bei Tag ein Kater auf ihm sitzt,

Schwarz, einäugig und unheimlich ganz,

Hell aus seinem einzlen Aug' es blitzt,

Als wär's aus dem Stuhl ein Demantglanz.

Doch wenn nachts ums Haus die Eule kreist,

Hört man Silberklänge wohlbekannt,

In dem Lehnstuhl sitzt des Wuchrers Geist

Mit dem Diamant in ihn gebannt.

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 2, Berlin 1914, S. 69-71.
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