§. 4.

Antwort auff das erste [25] Argumentum.

Und also negiren wir modeste des Schookii proposition des ersten argumenti. Denn nicht allein die Juristen / sondern auch alle Liebhaber der Historischen Warheit gebrauchen zu ihren Nutzen den Canonem Logicum. A Testimonio humano valet qvidem argumentum affirmative dictum, neutiquam vero negative. Mit Menschlichen Zeugnisse kan man eine Sache wohl bejahen nicht aber verneinen. Fabritius in Itinere Argenti schreibet: Unsere Vorfahren die Teutschen waren kriegerische und wegen ihrer grossen verrichteten Thaten berühmte Leute / aber sie hatten keine Scriptores, die ihre verrichtete Thaten aufgezeichnet hätten. Sleidanus läst sich von der Assyrer Reiche also vernehmen: Dieses Seculum ist sonder Zweiffel ein rechtes Heroisches Seculum gewesen /und wegen der hohen und vielen Kriegs-Troublen sehr berühmt. Aber was wissen wir [25] doch davon? Es ist viel nicht beschrieben / was doch geschehen ist. Und ist derjenige Schluß wohl lachens werth / der sich aufs Silentium der Scriptorum berufft / welche ob sie was geschrieben haben / man doch nicht erweisen kan. Zu diesen kömmet / daß auch öffters wohl nach verfliessung 200 und mehr Jahren erst eine Sache zu unsern Ohren kömmet. Und mißfallen uns die Wort des ältern Calixti eben nicht / welche er in Tract. de Conjung. Cleric. hat: Wenn man einem Scriptori, nicht eher glauben will / er sey denn selber dabey gewesen / und habe es gesehen / und eine Sache nicht eher glaubenswürdich achten / sie sey denn durch Anzeigung der Scriptorum alsbald zu unsern Ohren kommen / so muß die gantze Historie so wohl die Kirchen als Welt-Historie ungewiß seyn. Es können auch noch andere Indicia rei gestæ vorhanden seyn / ausser denen Scriptoribus, nemlich öffentliche Zeugniß und monumenta. Und also siehet man die unvollkommene enumerationem partium. Wir suppliren die Proposition und limitiren sie also:

[26] Von welcher Sachen nicht allein ein altum silentium bey allen Scriptoribus popularibus und vicinis, welche entweder in eben denselben oder doch kurtz drauf folgenden Seculis, ihre Annales Historias oder Chronicken geschrieben; sondern auch kein anders documentum oder öffentliches Zeugniß verhanden / dieselbe kan man billig als eine unglaubliche Sache verwerffen.

Nun ist von der Hamelischen Historie nicht allein ein altum etc.

Ergo kan man dieselbe billig als eine unglaubliche etc.

Den Majorem, welcher noch nicht aller Schwierigkeit entnommen / wollen wir indessen dem Schookio concediren. Denn was die Scriptores populares und vicini, welche entweder in eben den Seculo, oder doch in denen kurtz drauf folgenden geschrieben / nicht aufgezeichnet haben / und auch andere mit einen glaubwürdigen monumento nicht astruiret haben /das kan als was ungewisses von denen recentioribus als was gewisses nicht proponiret werden. Denn wie der Melchior Canus L. 11. I. c. gar [27] recht schreibet: Die alten Scriptores hätten eine Sache nicht ausgelassen / wenn sie gewust; sie hättens aber gewust / wenn sie geschehen wäre.

Allein den Minorem müssen wir ein wenig genauer betrachten. Der Schookius urgiret sonderlich das stillschweigen der Autorum, oder wie man es nennet das Testimonium negativum derer Scriptorum cœtaneorum. Derhalben man genauer die Zeit / da sie floriret untersuchenmuß. Wenn wir nun die Sache nach denen meisten suffragiis æstimiren / so ist der Ausgang derer Hamelischen Kinder um das Jahr Christi 1282. oder 84. und also zur Zeit Rudolphi I. des Habsburgischen Grafens geschehen. Dieser aber ist nach dem diuturno Interregno Anno 1273. zum ersten Imperatore à Septemviris erwehlet worden. Was dazumahl vor Scriptores berühmt gewesen / ist denen Gelehrten bekant. Von des Caroli M. Zeiten an biß zu Petrarchæ, das ist von neundten Seculo an biß zum Mittel des 14ten Seculi ist freylich nicht viel aufgezeichnet worden / wie solches der Schookius selbsten gestehet / sondern [28] vielmehr mit einer dicken Egyptischen finsteren Vergessenheit überfallen. Der gelehrte Vossius klaget auch in præfatione Librorum de vitiis sermonis latini sehr drüber / wenn er spricht: Nachdem das Carolische Geschlecht untergangen / welches im X. Seculo geschehen / ist auch zugleich alle Gelehrsamkeit untergangen / und gleichsam gantzer 400. Jahr im Exilio herum gewandert. Ist diesen nun so / was will man sich denn viel auf das Silentium Historicorũ beruffen? Es beklagen gelehrte Leute auch heut zu Tage / daß die Gelehrsamkeit fast dergleichen fata habe /Ursach / weil unserer Vorfahren Begebenheiten nicht auch auf uns mit fortgepflantzet. Wir lassen vor diesesmahl diese Klage fahren / und gehen weiter fort. Die folgende Secula, damit sie nicht gar nichts /haben nur ein weniges und gleichsam rudera oder Stücken derer Geschichten uns zukommen lassen. Etliche loben Helinandum einen französischen Mönch und den Matthæum Parisiensem; Andere Conradum a Lichtenau den Abt zu Ursperg: Andere kommen mit den Vincentio Bellovacensi und Martino Polono angezogen. [29] Der Schookius berufft sich auff dieses seinen Appendicem, und des andern Paralipomena, sonderlich aber auf die Colmarische Mönche. Diese haben nun von dieser Geschicht nichts / und an deren Zeugniß fehlet es. Aber was ist denn daran gelegen? Ihr Silentium schadet im geringsten nicht. Ich will die Ursach sagen: Es seynd theils fremde / theils zwar teutsche / aber keine Landesleute oder Nachbarn gewesen / und haben sich dahero um diese Hamelische Geschicht groß bekümmert. Ich geschweige / daß sich etliche endigen / ehe dieses noch geschehen. Helinandi Historie höret mit dem 1212. Jahr auf: Matthæi Paris. mit dem 1260. Jahr: Bellovacensis mit dem 1244. Jahr: Die Urspergische Chronicke mit dem 1229. Jahr: Poloni mit dem 1278. Jahr. Und auff die Colmariens. annales und derselben Autores darff sich der Schookius so sehr nicht verlassen. Ich wolte drauf schweren / daß sie an das Braunschweigische Hetzogthum wohl nicht einmahl gedacht. Ja wenn dieses gelten solte / so müste man viele Geschichte negiren / die in Elsaß / worinnen eben Colmar lieget /sich begeben / weil sie von ihnen [30] nicht annotiret /welches sattsam aus denen Nürnbergischen Chronicis Manuscriptis sehen. Aus der Zahl dererjenigen / welche in denen kurtz darauf folgenden Seculis gelebet haben / nennet er erstlich Wernerum Rolevinck â Lear autorem fasciculi temporis; Darnach den Trithemium; Endlich Canonicum Hamburgensem. Der erste ist ein Westphälinger gewesen / und hat sein Werck geendiget anno 1464. Der andere ein Abt zu Spanhem / der die Hirsaugische und Spanhemische Chronicke geführet bis aufs 1502. Jahr. Der dritte hat die Sachsen-Chronicke biß aufs 1520 Jahr continuiret. Letzlich allegiret er auch noch den Aventinum und Münsterum. Und das sind seine vornehmsten Scriptores, auf dessen Silentium er fusset. Aber / man hätte solche Zeugen anführen sollen / die es als Landesleute und einheimische von den andern gehöret /und nicht ausländische wohl gar Anonymos. Ein artiger modus probandi des Schookii! die er soll anführen die lässet er aus / die er sol auslassen / die führet er an / die alten monumenta lässet er gar aus. Was macht er mit den neuen [31] Scriptoribus? Wenn diese reden so schweiget er. Wenn sie schweigen so redet er Wir aber haben im ersten Capite alte und neue Scriptores angeführet / Einheimische und Ausländische /alte Zeugniß an privat und öffentlichen Häusern gewiesen. Uber den kan auch dargethan werden / wie es es denn auch bald geschehen soll / daß die Hamelischen ehe dessen Annales und Chronicken zusammen geschrieben / und den unglückseligen Ausgang / der Kinder nicht drinnen vergessen. Fället also des ersten Argumenti Major ohne Schlag von sich selber / der Minor zerbricht / und die Conclusio verschwindet.

Quelle:
[Meister, Johann Gottlieb:] M. Theodori Kirchmayeri Curiöse Historia von den unglücklichen Ausgange der Hamelischen Kinder. Aus dem Lat. ins Teutsche übers. von M. M. [d.i. Johann Gottlieb Meister], Dresden, Leipzig 1702, S. 25-32.
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