§. 6.

Beantwortung der Einwürffe.

[36] Wenn wir die schon angeführten Autores zusammen besehen / so sind sie in diesen Stück alle eines Sinnes. Das alte in Archivo zu Hameln aufgehabene Buch hat diese Historie mit rother Dinte unterstrichen. Was Kornmanni rythmos anlanget / will nichts davon sagen. Aber auf was Art und Weise die alte Hamelische Chronicke und die im Cœnobio S. Bonifacii gefundene Verse können untüchtig gemacht werden / sehe im geringsten nicht. Denn wer wolte doch so alber seyn / und vorgeben / es wäre nur vor langeweile so annotiret u. so fleißig aufgehoben. Schookius hingegen übergehets entweder mit tauben Ohren /oder verwirffts ohne dargethane Ursach. Allein hier bläset [36] mir ein liebhabender Erforscher der Wahrheit ein / ich weiß nicht wer: Daß Poeten keine geschickte Zeugen seyn können. Gar recht; Denn sie reden bißweilen ein wenig frey und fingiren etwas / aber zuweilen reden sie doch auch die Wahrheit. Man muß solche Leute nicht beurtheilen nach ihren Comœdien / Tragœdien und andern fingirten Sachen / wenn sie eine warhafftige Historie mit Versen beschreiben. Wer hat doch wohl iemahls des Ausonii Historiam Cæsarum, die Verßweise geschrieben / verachtet? Wer verwirfft des Lucani Aciem Pharsalicam? Es kan auch mit Versen eine Geschicht beschrieben werden. Wir wollen aber doch sehen / ob wir Fabel-Schreiber auf unsere Seite allegirt? Die Latein. Verse im Kloster S. Bonifacii wird kein vernünftiger Mensch / bevoraus wenn er den Innhalt solte erwegen / negiren können. Die Hamel. Chron. ist kein Gedichte eines Poeten / sondern der Autor desselben hat nach Art desselben Seculi es Verweise aufgesetzet /und die Zeit und Umstände wohl beobachtet / wie sich solches aus andern Kennzeichen erweiset. Es sucht[37] zwar der Adversarius allhier seine Ausflucht so / daß er vorgiebet / es habe sie ein fabelhafftiger Mönch beschrieben / und excusiret / daher die Hameler / daß sie durch Hochhaltung dieses Mönchs hintergangen / dasienige / was sie in seinen Annalibus gefunden als warhaftig geschehen / so blind hingenommen wird gleichsam als ein Oraculum gehalten. Ach nein! wo hats doch der Schookius erfahren / daß der Autor ein Mönch gewesen? Oder da ers ja gewesen / mit was vor Gründen wird er denn darthun / daß er lauter lügenhaffte Fabeln zusammen geflicket? Gesetzt es sey ein Mönch gewesen / und zwar wie er will ein Einheimischer. Solle man sich denn sicher auf seinen Glauben allein verlassen? Er hat können durch andere subsidia und monumenta hierzu veranlasset seyn / welches auch geschehen / wie solches sattsam nur aus dem Eingange der Erzehlung zu sehen. Dem sey auch wie ihm wolle / so ist doch warlich keine kleine Krabbe gewesen / die alles so leichte hingeglaubet / sondern ein Mann / der erst sein judicium zu rathe ziehet / ehe er eine Sache als glaublich annimmt. Ja wer nur die Nase ins Buch stecken wird / [38] der wird sehen / daß er die irrigen Meynungen des gemeinen Volcks vielmehr wiederlegen wollen. Und ist vergeblich / die Hameler excusiren / als hätten sie sich von einem Mönch hinters Licht führen lassen. Es brauchts keiner Entschuldigung. Denn sie haben keine Schuld daran.

Quelle:
[Meister, Johann Gottlieb:] M. Theodori Kirchmayeri Curiöse Historia von den unglücklichen Ausgange der Hamelischen Kinder. Aus dem Lat. ins Teutsche übers. von M. M. [d.i. Johann Gottlieb Meister], Dresden, Leipzig 1702, S. 36-39.
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