Klabund

Gotteslästerung?

Offener Brief

an die Nationalsozialistische Freiheitspartei

Deutschlands

[601] Meine Herren!

Sie erweisen mir die Ehre, sich in einem Antrag mit meiner bescheidenen Person zu beschäftigen. Ein Gedicht von mir: Die Heiligen Drei Könige hat, so erklären Sie, Ihr religiöses Gefühl verletzt, und Sie rufen gegen dieses Gedicht, Kanonen gegen einen Sperling, den Staatsanwalt auf. Ich bin, so darf ich wohl sagen: entzückt, daß es in dieser stumpfen, dumpfen Zeit noch Menschen gibt, die durch ein Gedicht, ein Kunstwerk also, im tiefsten Herzen erregt und erschüttert werden. Die Aufgabe der Kunst ist ja grade, die Seele zu bewegen und aufzuwühlen. Zu bewegen, wie der Wind die Blüte bewegt. Aufzuwühlen, wie der Sturm das Meer aufwühlt. Während der heutige Mensch allen möglichen mechanischen Reizen wie Radio, Rassenhaß, Boxsport, Theosophie, Weltkrieg und Jazz leicht zugänglich ist, verhärtet und verkrustet sich sein Inneres immer mehr, und es muß schon allerlei geschehen, bis er vor einem Kunstwerk, positiv oder negativ eingestellt, sich elektrisch oder explosiv entlädt. Was also, meine Herren von der Reaktion, Ihre Reaktion auf mein Gedicht betrifft, so bin ich[601] durch sie sehr beglückt. Was aber nun die Folgerungen angeht, die Sie aus Ihrem erregten Zustand zu ziehen belieben, so muß ich vor allem meiner höchsten Verwunderung darüber Ausdruck geben, daß Sie, meine Herren vom Hakenkreuz, in deren Reihen dem altgermanischen Wodanskult das Wort geredet wird, für die das Paradies in Mecklenburg liegt und die sich über den schlappen Christusglauben so oft offenkundig lustig gemacht haben – daß Sie, meine Herren Heiden, die allenfalls für Wodanslästerung zuständig wären, daß ausgerechnet Sie für den von Ihnen immer über die Achsel angesehenen Christengott eintreten und über Gotteslästerung wehklagen. Und was ist das für eine »Gotteslästerung«? Ich kann in dem fraglichen, inkriminierten Gedicht weit und breit keine Gotteslästerung finden – dagegen finde ich bei Ihnen, die sich so gern als Deutscheste der Deutschen bezeichnen, ein gradezu hanebüchene Unkenntnis deutscher Volksbräuche. Denn das Gedicht Die Heiligen Drei Könige bezieht sich gar nicht, wie von Ihnen wohl angenommen, auf die drei Weisen aus dem Morgenland, sondern auf einen am Heiligendreikönigstag in vielen Gegenden Deutschlands geübten Brauch: da ziehen nämlich, als Heilige Drei Könige karikaturistisch kostümiert, drei Burschen im Dorf herum, um mit mehr oder weniger ruppigen Versen bei den Bauern Bier und Schnaps zu schnorren. Diese Verse sind derb, frech, witzig – aber gotteslästerlich? Du lieber Gott! Ich glaube, du hast deine rechte, recht göttliche Freude an ihnen. Denn du bist ja kein nationalsozialistischer Abgeordneter. Du hast ja sogar den Teufel geschaffen, weil dir in deiner ewigen Güte gar nicht wohl war und du eine Art Gegengewicht brauchtest. Ja, ohne den Teufel wärst du eigentlich gar nicht denkbar, gar nicht vorstellbar. Gott und Teufel, Tag und Nacht, Mann und Weib – eines wird erst am andern, an seinem Gegensatz recht sichtbar. Wie ja auch die Nationalsozialistische Freiheitspartei notwendig ist, damit man sieht, daß es auch gescheite Leute auf der Welt gibt. Diese, wozu hoffentlich auch der Staatsanwalt gehört, mögen der Partei klarmachen, sofern man den Dunklen etwas klarmachen kann: daß, wenn ein zwar derbes, aber harmloses Gedicht wie Die Heiligen Drei Könige eine Gotteslästerung sein soll (was dem[602] einen sein Gott, ist dem andern sein Teufel), Goethes Faust von Gotteslästerungen nur so strotzt, daß Goethe auch ein Gedicht von den Heiligen Drei Kömgen geschrieben hat, Epiphanias betitelt, das für den Antrag auf Gotteslästerung vielleicht noch in Betracht kommt.

Neben Goethe auf der Anklagebank zu sitzen, würde sich zu einer besonderen Ehre schätzen


Ihr ergebener Klabund


Nachschrift

Um Weiterungen vorzubeugen: ich bin kein Jude! Ich habe keine jüdische Großmutter! Ich bin auch kein Mischling! Ich heiße nicht Krakauer und bin auch nicht aus Lemberg. Ich heiße schlicht mit bürgerlichem Namen Alfred Henschke. Und mein Großvater hat als Erzieher des ehemaligen Kaisers sein Bestes dazu beigetragen, daß wir den Krieg verloren, aber statt dessen die Nationalsozialistische Freiheitspartei gewonnen haben. Das nächste Mal wird es uns hoffentlich umgekehrt gehen.[603]

Quelle:
Klabund: Der himmlische Vagant. Köln 1968, S. 601-604.
Erstdruck in: Die Weltbühne (Berlin), 24. März 1925.
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