Trinklied

[71] – – Sobrium decet esse Poëtam

Ipsum, versiculos, nihil necesse est.

Catull


Weiser Damon, dessen Haupt

Lorber um und um belaubt!

Soll dir Gram und Misvergnügen

Ewig Stirn und Wange pflügen?


Wie der Glanz von dunkelm Licht

Schwach aus Todtengrüften bricht:

So blinkt deine trübe Seele

Aus des Leibes Trauerhöhle.


Wiß, in deiner Jahre Zahl

Rechnet dir der Tod einmal

Nebst den freudenvollen Tagen

Auch die Tage voll von Plagen!


Du schwimmst in der Zeiten Raum

Wie auf Strömen leichter Schaum,

Kannst du nicht so schnell zur Erden,

Wie der Schaum zu Wasser werden?


Sieh mich an, wie mir das Haupt

Epheustrauch und Ros' umlaubt,

Und wie mir die Tropfen gleiten

Wegen Kürze dieser Zeiten.
[71]

Zehnmahl füll ich schon mein Glas

Mit Liäens edlem Naß,

Noch reizt mich sein güldnes Blinken

Und die Freude wächst im Trinken.


Thür und Teppich tanzt um mich,

Erd und Himmel drehet sich.

O wie selig! welch Vergnügen!

Evan hilf! Ich muß erliegen.


Quelle:
Ewald Christian von Kleist: Sämtliche Werke. Stuttgart 1971, S. 71-72.
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