Zweites Kapitel

Von der Liebe zum Vaterlande

[390] Fr. Du liebst dein Vaterland, nicht wahr, mein Sohn?

Antw. Ja, mein Vater; das tu ich.

Fr. Warum liebst du es?

Antw. Weil es mein Vaterland ist.

Fr. Du meinst, weil Gott es gesegnet hat mit vielen Früchten, weil viele schönen Werke der Kunst es schmücken, weil Helden, Staatsmänner und Weise, deren Namen anzuführen kein Ende ist, es verherrlicht haben?

Antw. Nein, mein Vater; du verführst mich.

Fr. Ich verführte dich?

Antw. – Denn Rom und das ägyptische Delta sind, wie du mich gelehrt hast, mit Früchten und schönen Werken der Kunst, und allem, was groß und herrlich sein mag, weit mehr gesegnet, als Deutschland. Gleichwohl, wenn deines Sohnes Schicksal wollte, daß er darin leben sollte, würde er sich traurig fühlen, und es nimmermehr so liebhaben, wie jetzt Deutschland.

Fr. Warum also liebst du Deutschland?

Antw. Mein Vater, ich habe es dir schon gesagt!

Fr. Du hättest es mir schon gesagt?

Antw. Weil es mein Vaterland ist.

Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band3, Berlin und Weimar 1978, S. 390.
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