Siebentes Kapitel

Von der Bewunderung Napoleons

[393] Fr. Was hältst du von Napoleon, dem Korsen, dem berühmten Kaiser der Franzosen?

Antw. Mein Vater, vergib, das hast du mich schon gefragt.

Fr. Das hab ich dich schon gefragt? – Sage es noch einmal, mit den Worten, die ich dich gelehrt habe.

Antw. Für einen verabscheuungswürdigen Menschen; für den Anfang alles Bösen und das Ende alles Guten; für einen Sünder, den anzuklagen, die Sprache der Menschen nicht hinreicht, und den Engeln einst, am Jüngsten Tage, der Odem vergehen wird.

[393] Fr. Sahst du ihn je?

Antw. Niemals, mein Vater.

Fr. Wie sollst du ihn dir vorstellen?

Antw. Als einen, der Hölle entstiegenen, Vatermördergeist, der herumschleicht, in dem Tempel der Natur, und an allen Säulen rüttelt, auf welchen er gebaut ist.

Fr. Wann hast du dies im stillen für dich wiederholt?

Antw. Gestern abend, als ich zu Bette ging, und heute morgen, als ich aufstand.

Fr. Und wann wirst du es wieder wiederholen?

Antw. Heute abend, wenn ich zu Bette gehe, und morgen früh, wenn ich aufstehe.

Fr. Gleichwohl, sagt man, soll er viel Tugenden besitzen. Das Geschäft der Unterjochung der Erde soll er mit List, Gewandtheit und Kühnheit vollziehn, und besonders, an dem Tage der Schlacht, ein großer Feldherr sein.

Antw. Ja, mein Vater; so sagt man.

Fr. Man sagt es nicht bloß; er ist es.

Antw. Auch gut; er ist es.

Fr. Meinst du nicht, daß er, um dieser Eigenschaften willen, Bewunderung und Verehrung verdiene?

Antw. Du scherzest, mein Vater.

Fr. Warum nicht?

Antw. Das wäre ebenso feig, als ob ich die Geschicklichkeit, die einem Menschen im Ringen beiwohnt, in dem Augenblick bewundern wollte, da er mich in den Kot wirft und mein Antlitz mit Füßen tritt.

Fr. Wer also, unter den Deutschen, mag ihn bewundern?

Antw. Die obersten Feldherrn etwa, und die Kenner der Kunst.

Fr. Und auch diese, wann mögen sie es erst tun?

Antw. Wenn er vernichtet ist.[394]

Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band3, Berlin und Weimar 1978, S. 393-395.
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